Skip to main content

Der Frauenstreik als Meilenstein in der Geschichte

Über eine halbe Million Frauen und solidarische Männer gingen am zweiten nationalen Frauenstreik in zahlreichen Städten für die Gleichstellung der Frau auf die Strasse. In der St. Galler Innenstadt legte der lautstarke und lilafarbige Demozug am späten Nachmittag für einige Zeit den Stadtverkehr lahm.

«Wir sind viele, wir sind überall, wir sind stark und wir sind laut!», «Gleicher Lohn für gleiches Tun, vorher werden wir nicht ruhn!» oder «Vorwärts mit dem gleichen Lohn, alles andere ist ein Hohn!», forderten die rund 4000 Menschen, die am zweiten nationalen Frauenstreik am 14. Juni am späten Nachmittag durch die St. Galler Innenstadt zogen. Frauen aus allen Kulturen, sozialen Schichten und politischer Gesinnungen bekundeten mit Fahnen, Spruchbänder und Plakaten ihre Forderungen zur Gleichstellung der Frau. Sie wollen endlich gleiche Rechte für Mann und Frau im gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Leben. Der lautstarke und farbenfrohe Demozug legte für einige Zeit den Stadtverkehr lahm.

Der Kampf für gleiche Rechte in Gesellschaft, Arbeit und Privatleben
Bereits am Morgen versammelten sich über 800 Menschen in der Marktgasse, nachdem sie sich geräuschvoll und mit Fahnen und Spruchbänder bewaffnet aus den St. Galler Quartieren zum Streikplatz bewegt haben. Verschiedene Frauengruppen bekundeten dort in verschiedenen Sprachen ihre Forderungen zur Gleichstellung und locken zahlreiche Passanten zum Stehenbleiben an. Es sind Forderungen, die eigentlich selbstverständlich und längst im Schweizer Gesetzbuch verankert sind: Die Gleichstellung in der Gesellschaft, Arbeit, Familie und Sexualität. Die Manifestation wird umrahmt von lautstarker Zustimmung, aber auch despektierlichen Pfiffen und Buhrufen. Während die Kinder im Märlizelt und auf dem Spielplatz von Männern betreut werden, griffen einige Mütter spontan zu Pinsel und Farbe, um noch ein Plakat für die Demonstration am Nachmittag zu kreieren. Daneben gab es musikalische Liveunterhaltung, Strassentheater und anregende Talkrunden.

Von Frauenrechtlerinnen und gefallenen Mädchen
Zu den Orten, wo einst bemerkenswerte Frauen gewohnt und gewirkt hatten, entführte Jolanda Schärli vom Historischen und Völkerkundemuseum. Das Interesse, mehr über die Biografien der St. Gallerinnen zu erfahren war so gross, dass die Führung durch die Gassen der Altstadt eher einer Völkerwanderung gleich kam. Erstaunliches erfuhren die über 100 Teilnehmerinnen über die Pionierinnen der Frauenbewegung, Kämpferinnen fürs Frauenstimmrecht, geschäftstüchtigen Unternehmerinnen, Politikerinnen ohne Wahl- und Stimmrecht, frühzeitlichen Netzwerkerinnen, Revolutionärinnen und gefallenen Mädchen. Nebenbei erfuhren sie auch, dass es noch gar nicht lange her ist, als alleinstehende Frauen von Gesetzes wegen einen Vormund hatten und Ehefrauen noch bis 1988 die Einwilligung ihres Mannes brauchten, wenn sie einer Berufstätigkeit nachgehen wollten. Die düsteren Geschichten über Frauenhäuser, die wie Gefängnisse geführt wurden, über gefallene Mädchen und Zwangseinweisungen zeigen auf, dass sich schon was getan hat in Sachen Gleichberechtigung. Frauen mit Mut und Kampfgeist haben sich damals für ihre Rechte eingesetzt. Die neue Generation ist bereit, den Kampf weiterzuführen und sich für die Selbstverständlichkeit gleiche Rechte für Frau und Mann einzusetzen.

Eine halbe Million Streikende fordern Gleichstellung
Der Freitag, 14. Juni 2019 dürfte nach dem Generalstreik 1918 und dem ersten Frauenstreik 1991 wiederum in die Schweizer Streik-Geschichte eingehen. Die verschiedenen Organisationen, die zur Mobilisation aufgerufen hatten, bezeichnen den zweiten Frauenstreik als grösste politische Demonstration der jüngeren Geschichte. Sie schätzen, dass sich mehr Frauen beteiligt haben als 1991, wo eine halbe Million auf die Strassen gingen. In zahlreichen Städten und grösseren Orten fanden Aktionen und Kundgebungen statt, wo Frauen aller Generationen und Kulturen gleichlange Spiesse im gesellschaftlichen, beruflichen und privaten Leben einforderten. Gestreikt wurde auch im Nationalrat. Präsidentin Marina Carobbio von der SP Tessin unterbrach die Sitzung für eine Viertelstunde. Der Ratssaal leerte sich, nur einige SVP-Vertreter blieben sitzen. Auf dem Bundesplatz mischten sich Politikerinnen, unter ihnen auch Bundesrätin Viola Amherd unter die streikenden Frauen, wo sie von der Menge lautstark begrüsst und bejubelt wurden.


Stimmen zum Frauenstreik in St. Gallen:

Rosmarie Hauser, Syna Mitglied aus Gossau:
«Diese grosse Solidarität hat mich überrascht. Es war ein sehr eindrücklicher Frauenstreiktag.»

Vincenzo Urso, Syna Regionalsekretär St. Gallen:
«So ein Tag wie heute hätte schon lange stattfinden sollen. Ich hoffe es bewegt sich endlich was in der Gleichstellung.»

Irène Hauser, administrative Mitarbeiterin Syna St. Gallen:
«Am diesem Tag haben die Frauen eindrücklich gezeigt was sie wollen. Jetzt sollte es endlich vorwärts gehen mit der Gleichstellung.»

Luis Barros, Syna Regionalsekretär Frauenfeld:
«Ich bin überwältigt mit welcher Vielfalt und Kreativität die Frauen heute ihre Forderungen kundgetan haben.»

Danilo Ronzani, Syna Regionalverantwortlicher:
«Der Tag hat mir eindrücklich gezeigt, dass die Frauen und solidarischen Männer demonstrieren können und bereit sind, sich für ihre Forderungen einzusetzen.»

Bericht und Fotos: Ramona Riedener, Balgach/Valencia

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Weitere Informationen Ablehnen Akzeptieren