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Schweizerischer Gehörlosenbund: Gleichstellung auf allen Ebenen

Die Dachorganisation Schweizerische Gehörlosenbund engagiert sich seit 1946 für die Gleichstellung von Menschen mit einer Hörbehinderung. Schweizweit gibt zirka eine Million Menschen mit einer Hörbeeinträchtigung, davon sind rund 10'000 gehörlos. Besonders seit den 1980er Jahren konnte viel erreicht werden, doch trotzdem bleibt noch viel zu tun, bis die Gleichstellung hörbeeinträchtigter Menschen erreicht ist.

Die Schweiz ist bekannt für ihre Sprachenvielfalt. Für gehörlose Menschen ist die Schweiz noch mehrsprachiger als für den Rest der Bevölkerung. Denn eine einheitliche Gebärdensprache gibt es nicht. «Wenn jemand auf Französisch gebärdet, verstehe ich fast nichts», erzählt André Marty, Mitarbeiter und Mitglied der Personalkommission des Gehörlosenbundes, und ergänzt, «Gebärdensprachen sind Sprachen die sich natürlich entwickeln und ihr Eigenleben haben mit Dialekten und Jugendslang» 

An Schulen lange verboten

Gebärdensprache wurde in der Schweiz lange unterdrückt. Bis in die 1980er Jahre waren Gebärden an Schulen verboten. «Kinder mussten teilweise ihre Hände in Kartonröhren stecken, damit sie nicht gebärden konnten.», erzählt André Marty. Es herrschte die Überzeugung, dass sich Gehörlose mit Lippenlesen durchschlagen sollten. Beim Lippenlesen werden jedoch nur etwa 30 Prozent der Worte erkannt. Ab den 1990er Jahren erfuhr die gebärdenunterstütze Bildung, auch dank dem Einsatz des Gehörlosenbundes, erstmals eine gewisse Förderung. Doch von kompletter Integration von hörbehinderten Kindern ins Schulsystem sind wir noch weit entfernt. Eine bilinguale öffentliche Schule, also eine Schule, welche sowohl in gesprochener als auch Gebärdensprache unterrichtet, gibt es in keinem Kanton. Andere Länder sind schon lange so weit. 

Gehörlose bringen eine andere Perspektive

Auf dem Arbeitsmarkt gelingt die Integration von Hörbehinderten immer besser. «Sie bringen eine neue Perspektive in ein Unternehmen, bemerken Dinge die Hörende manchmal übersehen und sind bei gewissen Tätigkeiten fokussierter. Ich werde manchmal von Geräuschen abgelenkt, während meine Teamkollegen konzentriert weiterarbeiten.», beschreibt André Marty seine Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag. Die Zusammenarbeit funktioniert bestens, doch für komplexe Gespräche oder Sitzungen sind Gebärdensprachdolmetschende nötig. Die IV übernimmt dabei die Kosten für zehn Stunden Übersetzung pro Monat. Dies reicht jedoch bei weitem nicht für eine komplette Abdeckung. Aus diesem Grund fordert der Gehörlosenbund einen Ausbau der Kostenübernahme. So würde auch die Hürde, gehörlose Personen anzustellen, deutlich sinken. 

Neues Organisationsmodell, neue Herausforderungen

Vor zweieinhalb Jahren hat der Gehörlosenbund ein holakratisches Organisationmodell eingeführt. Ziel ist es, die personenbezogenen Hierarchien im Unternehmen abzuflachen. Das bedeutet aber nicht, dass jeder macht, was er will. Weiterhin gibt die Strategie die zu erreichenden Unternehmensziele vor. Doch wer dieses Ziel umsetzen soll und wie er oder sie das ganze angeht, liegt aber ganz im Kompetenzbereich der Mitarbeitenden. Dies führt dazu, dass klassischen Rollenverteilungen im Unternehmen aufgebrochen werden. Durch diese Neuverteilung von Verantwortlichkeiten stellen sich neue Fragen – Lohnklassen beispielsweise lassen sich nicht mehr so einfach umsetzten wie zuvor. Auch darf unter der selbständigen Einteilung der Arbeit der Arbeitnehmendenschutz nicht vergessen gehen. Für solche Fragen hat die Personalkommission des Gehörlosenbunds bei Syna um externe Beratung angefragt. Syna berät die Personalvertretung des Gehörlosenbunds zu Fragen des Arbeitnehmendenschutzes im Zusammenhang mit der Umstellung auf die Holakratie. «Dieser Wandel bietet grosse Chancen, doch wird es sicherlich weitere zweieinhalb Jahre dauern, bis wir uns als Organisation an das neue Arbeitsmodell gewöhnt haben», prognostiziert Marty. 

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