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IGR Bodensee: Bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht uns alle an!“

Herausforderungen aus gewerkschaftlicher Sicht in den Ländern Deutschland, Liechtenstein, Österreich und Schweiz

FRIEDRICHSHAFEN/DORNBIRN/ SCHAAN (IGR Bodensee) - Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat in letzter Zeit – auch im Zusammenhang mit dem immer rasanter werdenden Wandel der Arbeitswelt und der Diskussion um die Arbeitszeitflexibilisierung - an Aktualität gewonnen. Die im Interregionalen Gewerkschaftsrat (IGR) Bodensee zusammengeschlossenen Gewerkschaften LANV, SGB/Travail.Suisse, DGB und ÖGB nehmen dies zum Anlass, über die konkrete Situation in den Ländern Liechtenstein, Deutschland, Schweiz und Österreich zu berichten, Probleme aufzuzeigen und ihre Positionen darzulegen. In einer gemeinsamen Resolution werden die wichtigsten grenzüberschreitenden Forderungen aus Sicht der Arbeitnehmer-Vertreter zusammengefasst

Schweiz: Aufholbedarf bei Vaterschaftsurlaub und KITA-Plätzen

„Wenn wir von einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie sprechen, haben wir in der Schweiz sicher enormen Aufholbedarf", ist Danilo Ronzani von der Travail.Suisse überzeugt. Als Beispiel nennt er den gesetzlich bezahlten Vaterschaftsurlaub, der gerade mal einen Tag beträgt". „Damit liegen wir im internationalen Vergleich weit zurück", und so Ronzani weiter „mehr Väterbeteiligung ist derzeit von der Politik auch nicht erwünscht." Jegliche parlamentarischen Vorstöße für einen längeren Vaterschaftsurlaub seien bisher gescheitert, zuletzt die Initiative „Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub". Die im Juli 2017 vom Verein „Vaterschaftsurlaub jetzt", eingereichte Initiative fordert einen Vaterschaftsurlaub von 20 Tagen. Obwohl dies weit entfernt ist von den Idealvorstellungen der beiden gewerkschaftlichen Dachverbände Travail Suisse und SGB, stehen diese voll und ganz hinter der Initiative.

Klar ist für Ronzani aber: „weil der Vaterschaftsurlaub über Lohnprozente finanziert werden soll, werden sich die Unternehmerverbände und bürgerliche Parteien gegen die Initiative stellen. Es braucht deshalb einen engagierten Abstimmungskampf, um die unwürdige Lage der Väter endlich zu verbessern!", gibt sich Ronzani kämpferisch.

Auch bei den Kita-Plätzen hat die Schweiz erheblichen Nachholbedarf. Gerade in ländlichen Gebieten gibt es entweder gar keine Kitaplätze oder sie liegen in einer so großen Distanz, dass es für die Eltern einen unverhältnismäßigen Aufwand auslöst.

Außerdem seien die Betreuungskosten teilweise horrend, was die Erwerbstätigkeit für viele Eltern unattraktiv mache. Die Schweizer Gewerkschaften fordern in diesem Zusammenhang eine stärkere und direktere Beteiligung der Wirtschaft an den Betreuungskosten. Außerdem kämpfen die GewerkschafterInnen gegen die Flexibilisierung der Arbeitszeiten und die Demontage des Arbeitsgesetzes - und das nicht nur zum Schutz der betroffenen Arbeitnehmenden, sondern auch für die Familien und das soziale Zusammenleben.

Deutschland: Lebensphasenorientiertes Arbeiten und Arbeitszeitverkürzung

„Mehr Selbstbestimmung für die Beschäftigten ist bitter nötig. Das gilt besonders, aber nicht nur, für die Kolleginnen und Kollegen, die Kinder oder pflegebedürftige Angehörige haben", fordert Jens Liedtke vom DGB Region Südwürttemberg. „Seit Jahren schieben wir einen Riesenberg an Überstunden vor uns her. Mehr als die Hälfe davon unbezahlt. Diese Zahlen zeigen, dass die Flexibilisierung der Arbeitswelt bisher nicht im Interesse der ArbeitnehmerInnen geschieht. Der DGB fordert daher, Arbeitszeiten fair, sozial und verantwortungsbewusst zu gestalten."

Um den unterschiedlichen Lebensphasen und Bedürfnissen gerecht zu werden, sei eine Debatte bezüglich lebensphasenorientierter Arbeitszeit notwendig, so etwa über Modelle zur selbstbestimmten Gestaltung der Arbeitszeit. Als Beispiel nennt der IGR-Vizepräsident Lebensarbeitszeitkonten. Der DGB trete außerdem für eine gesellschaftliche Reduzierung der Arbeitszeit ein. „Eine Erhöhung der maximal zulässigen täglichen Arbeitszeit lehnen wir grundsätzlich ab. Das Arbeitszeitgesetz bietet genug Flexibilität", ist Liedtke überzeugt.

Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, fordert der DGB ein Maßnahmenpaket, das unter anderem eine gesetzliche PartnerInnenfreistellung von sechs Wochen vor der Geburt und acht Wochen nach der Geburt des Kindes vorsieht. Diese soll nicht als Ersatz, sondern zusätzlich zum Mutterschutz gewährt werden. Außerdem soll die Elternzeit zur Hälfte zwischen den Elternteilen aufgeteilt werden. Für die finanzielle Absicherung der Familie soll das Elterngeld in dieser Zeit dem ausfallenden Nettogehalt des Elternteils entsprechen, der in Elternzeit ist. Der DGB fordert zudem ein Recht auf Aufstockung nach einer familienbedingten Teilzeit.

Österreich: 12-Stunden-Tag trifft vor allem Familien!

Die österreichische Bundesregierung hat mit dem neuen Arbeitszeitgesetz und der Einführung des 12-Stunden-Tags bzw. der 60 Stunden-Woche eine erschreckende Wende in der Arbeitswelt herbeigeführt. „Vom Ziel einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat sich die Regierung meilenweit wegbewegt", hält ÖGB-Landesvorsitzender und IGR-Vizepräsident Norbert Loacker fest. Für ihn ist klar: statt einer Ausweitung der Arbeitszeit brauche es eine Arbeitszeitverkürzung und einen kollektivvertraglichen Rechtsanspruch auf eine 4-Tage-Woche.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für Loacker aufgrund der oft fehlenden oder unzureichenden Kinderbetreuung eine Herausforderung für berufstätige Eltern. Die Öffnungszeiten variieren stark und orientieren sich nur wenig an den Arbeitszeiten der Eltern. Laut "Kindertagesheimstatistik" der Statistik Austria haben in Vorarlberg 55,2 Prozent der Einrichtungen nur bis 15:30 Uhr geöffnet. Ein weiteres Problem ist für Loacker die hohe Zahl der Schließtage (in Vorarlberg: 36,5). Er fordert außerdem bei der Familienförderung, dass jedes Kind gleich viel wert sein sollte. Er tritt daher für Sach- und Transferleistungen ein, die den Kindern direkt zugutekommen und lehnt den von der Regierung eingeführten Familienbonus ab. Letzterer benachteilige klar Kinder von GeringverdienerInnen und Alleinerziehenden.

Zur Verbesserung der Väterbeteiligung wurde 2017 der Familienzeitbonus eingeführt. So können sich Väter nach der Geburt des Kindes für einen gewissen Zeitraum ausschließlich ihrer Familie widmen. Einen Rechtsanspruch auf Freistellung gibt es jedoch nicht. Diesen braucht es aber, ist Loacker überzeugt. Außerdem müsse die Höhe der Geldleistung von derzeit 700 Euro angehoben werden.

Auch im Bereich der Elternteilzeit fordert der ÖGB Verbesserungen. Es ist nicht einzusehen, dass der Anspruch auf Elternteilzeit von der Betriebsgröße und der Dauer der Betriebszugehörigkeit abhängen, so Loacker abschließend.

Liechtenstein: Vereinbarkeit - Wunsch und Wirklichkeit klaffen auseinander!

Für Sigi Langenbahn, Präsident des Liechtensteinischen Arbeitnehmer-Innenverbandes LANV ist klar: „Wir brauchen eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Freizeit und Beruf, flexible Lebensarbeitszeitmodelle und „alter(n)sgerechte Arbeitsplätze". Das ist eine der großen Herausforderungen für die Arbeitswelt der Zukunft, auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung. Hier habe Liechtenstein noch einen weiten Weg vor sich, so Langenbahn.

Als Beispiel nennt Langenbahn den Elternurlaub. Das Parlament setzte zwar im Jahr 2004 die EU-Richtlinie zum Elternurlaub um, getreu seiner wirtschaftsliberalen Haltung jedoch nur die absolute Minimalvorgabe von drei Monaten unbezahlt. Wirtschaft und Politik erhofften sich Standortvorteile gegenüber den benachbarten Ländern. Unbezahlter Elternurlaub werde aber kaum in Anspruch genommen, aus finanziellen Gründen und weil er in vielen Betrieben „unerwünscht" sei. Die Wirtschaftskammer Liechtenstein versäume es seit Jahren, sich mit KMU-verträglichen Formen der Inanspruchnahme von Elternurlaub auseinanderzusetzen.

Derzeit arbeitet die Europäische Kommission an einer Initiative zur Gleichstellung von Frau und Mann hinsichtlich der Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei soll ein bezahlter Elternurlaub geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Erwerbstätigkeit und Betreuungspflichten aufheben. „Da wir seit Jahren erfolglos von der Regierung Berechnungsmodelle für bezahlten Elternurlaub fordern, arbeitet der LANV aktuell selbst an verschiedenen Modellen und forciert in den Kollektivverträgen den Vaterschaftsurlaub", erklärt Langenbahn. Auch für die Wirtschaft werde es höchste Zeit, sich mit branchenspezifischen Umsetzungsmodellen zu befassen.

Danilo Ronzani