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Schlichten, bevor der Richter entscheidet

Wenn sich Arbeitnehmer und Chef wegen einer Kündigung, der Arbeitszeit oder dem Lohn streiten, versucht die Schlichtungsstelle eine Einigung zu erzielen. Die Schlichtungsstellen für Arbeitsverhältnisse im Kanton St. Gallen bestehen aus einem Präsidenten, seinen Stellvertretern, sowie aus gleichvielen Vertretern auf Seiten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Primo Facci aus Gossau ist seit 1. Juni 2009 einer der Arbeitnehmervertreter der Schlichtungsstelle des Gerichtskreises St. Gallen. Das Mitglied des Regionalvorstands der Syna Ostschweiz, Aktuar der Region sowie Zentralvorstandsmitglied der Syna Schweiz erzählt in einem Interview von seinem spannenden Mandat. 

Primo Facci, du vertrittst seit vielen Jahren bei der Schlichtungsstelle die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wenn sie mit ihrem Chef in Konfliktsituationen geraten. Wie bist du zu diesem Mandat gekommen?

Primo Facci: Ich war schon Arbeitsrichter bevor diese durch die Schlichtungsstellen für Arbeitsverhältnisse ersetzt wurden. Damals war noch das Arbeitsgericht Gossau – Untertoggenburg für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis zuständig. Als die Schlichtungsstellen eingeführt wurden, war für mich klar, dass ich mich auch für dieses Mandat zur Verfügung stelle. Dies auch weil sich bei der gleichzeitigen Neueinteilung der Kreisgerichte sonst niemand aus dem Bezirk Gossau für dieses wichtige Mandat für uns Arbeitnehmer zur Verfügung stellte.

Mit was für Problemen gelangen die Arbeitnehmenden an die Schlichtungsstelle?

Primo: Es ist das ganze Spektrum an Streitigkeiten die im Arbeitsalltag entstehen können. Zum Beispiel ausstehende Löhne, unbezahlte Überstunden, Ferienanspruch, missbräuchliche Kündigung, Mobbing und vieles mehr.

Wie läuft das ab? – Wohin muss ich gehen, wenn ich Probleme mit dem Arbeitgeber habe?

Primo: Als erstes würde ich mal den Arbeitsvertrag und eventuell den Gesamtarbeitsvertrag studieren und das Gespräch mit dem Arbeitgeber suchen. Findet man keine Lösung, ist das Gewerkschaftssekretariat oder die zuständige Schlichtungsstelle der erste Ansprechpartner.

Brauche ich einen Anwalt, hilft mir die Gewerkschaft oder wie kann ich meine Rechte bei der Schlichtungsstelle geltend machen?

Primo: Um ein Schlichtungsgesuch bei der Schlichtungsstelle einzureichen, ist kein Anwalt nötig. Die Schlichtungsstelle oder auch das Gewerkschaftssekretariat kann beim Ausfüllen des Gesuches helfen.

Welche Rolle spielt zum Beispiel die Syna in diesem Verfahren?

Primo: Die Syna kann bei der Beurteilung der Streitigkeit helfen. Zum Beispiel indem der Gewerkschaftssekretär das Gespräch mit dem Arbeitgeber sucht. Vielleicht ist dann eine Einigung möglich und der Gang zur Schlichtungsstelle hat sich erledigt. Falls nicht, begleitete die Syna den Arbeitnehmer bei der Schlichtung als Beistand und Berater.

Wie ist der Ablauf, nachdem ich mich mit meinem Arbeitskonflikt an die Schlichtungsstelle gewendet habe?

Primo: Die Schlichtungsstelle prüft das Gesuch und fordert eventuell weitere Unterlagen vom Arbeitnehmer und/oder Arbeitgeber an.

Wie geht es dann weiter?

Primo: Der Kläger und der Beklagte erhalten eine Einladung zur Schlichtungsverhandlung. Das für diesen Tag vorgesehene Schlichtergremium erhält die Einladung mit allen Unterlagen wie Schlichtungsgesuch und Klageantwort etwa 10 bis 14 Tage vor dem Verhandlungstermin.

Was genau ist dann deine Aufgabe?

Primo: Ich habe nun Zeit die Akten zu studieren und kann mich so auf die Schlichtung vorbereiten. Dazu ziehe ich den entsprechenden Arbeitsvertrag, eventuell den Gesamtarbeitsvertrag zu rate. Manchmal bespreche ich den Fall auch mit einem Gewerkschaftssekretär. Das Schlichtergremium trifft sich dann 20 Minuten vor der Schlichtungsverhandlung um den Fall gemeinsam zu begutachten und eventuell einen Lösungsvorschlag zu machen.

Für die meisten Menschen nimmt die Arbeit eine wichtige Stellung im Lebensalltag ein. Entsprechend emotional dürfte so ein Arbeitskonflikt ablaufen. Wie sind deine Erfahrungen?

Primo: Es kann für beide beteiligten Parteien befreiend sein, sich an einer neutralen Stelle einmal auszusprechen und eine Lösung zu finden. Bedrücken ist es, wenn es ums Geld geht und der Lohn über Wochen oder Monate nicht oder nur teilweise gezahlt wurde. Oft ist da keine Einigung möglich und der Fall geht vors Kreisgericht oder endet schlimmstenfalls in einem Konkurs.

Gab es auch kuriose Fälle, die auch mal zum Schmunzeln Anlass gaben?

Primo: Hier möchte ich nicht von kuriosen, sondern von für mich unverständlichen Fällen sprechen. Dies wen Kläger oder Beklagter sich nicht mit den Verträgen oder Bestimmungen auseinander gesetzt haben. Zum Beispiel einen Arbeitsvertrag oder ein Reglement unterschreiben, ohne es genau studiert zu haben.

In wie vielen Fällen kommt es zur Einigung der streitenden Parteien?

Primo: Laut unserem Schlichtungspräsidenten haben wir im Jahre 2020 175 Fälle erledigt. Davon gab es 57 Vergleiche. Zu beachten ist aber, dass in diesem Jahr viele Fälle gab, wo die beklagte Partei der Verhandlung fernblieb und es damit automatisch eine Klagebewilligung gab.

Was, wenn keine Schlichtung möglich ist?

Primo: Wenn keine Einigung erzielt werden kann, erhält der Kläger die Klagebewilligung, mit der er innerhalb von drei Monaten die Klage am Kreisgericht einreichen kann.

Was war dein schönstes Erlebnis als Arbeitnehmervertreter der Schlichtungsstelle?

Primo: Ich möchte nicht vom schönsten Erlebnis sprechen, sondern von schönen Erlebnissen: Diese sind dann, wenn wir einen Vergleich erzielen und beide Parteien, Kläger wie Beklagter, mit der Lösung zufrieden sind.

Ramona Riedener
atelier@ramona-riedener.ch
Medienbeauftragte der Syna Ostschweiz

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