Pikett-Dienst – was gilt rechtlich?
Arbeit auf Abruf gehört für viele Arbeitnehmende mittlerweile zum Arbeitsalltag. Doch welche Regeln gelten dabei eigentlich?
Fall 1: Arbeitszeit, Entlöhnung und Planung Roman arbeitet als Kältetechniker in einem Unternehmen, das Kühlanlagen für Lebensmittelbetriebe betreut. Bisher hatte er geregelte Arbeitszeiten von 8.00 bis 17.30 Uhr – ein verlässlicher Rhythmus, der ihm Planungssicherheit gab. Doch nun führt seine Firma einen 24/7-Service ein: Innerhalb einer Stunde muss ein Techniker vor Ort sein.
Für Roman bedeutet das, dass er künftig Pikett-Dienst leisten muss – auch nachts und am Wochenende. Doch darf sein Chef das einfach anordnen? Sein ursprünglicher Arbeitsvertrag erwähnt Pikett nicht. Kann er jetzt plötzlich verpflichtet werden, rund um die Uhr einsatzbereit zu sein?
Besonders als Vater stellt ihn das vor Herausforderungen: Wie früh steht der Pikettplan fest? Er muss rechtzeitig eine Kinderbetreuung organisieren. Auch zur Bezahlung bleiben Fragen: Wird nur der tatsächliche Einsatz entlöhnt oder auch die Bereitschaft?
Roman hat aus rechtlicher Sicht in mehrfacher Hinsicht gute Argumente. Grundsätzlich gilt: Eine so wesentliche Änderung der Arbeitsbedingungen – wie die Einführung von Pikett-Diensten – darf nicht einseitig durch die Arbeitgebenden erfolgen. Solche Änderungen bedürfen der Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmenden. Wer mit der Änderung nicht einverstanden ist, sollte dies den Arbeitgebenden klar und nachweislich mitteilen.
Hinzu kommt: Arbeitnehmende mit Familienpflichten geniessen besonderen Schutz bei der Gestaltung der Arbeitszeit. Roman kann sich als Vater auf diesen Schutz berufen – und zwar bis seine Kinder das 15. Lebensjahr erreicht haben.
Das Arbeitsgesetz schreibt zudem vor, dass Arbeitnehmende bei der Planung der im Betrieb massgeblichen Arbeitszeiten, Pikett-Dienste und Einsatzpläne einbezogen werden müssen. Diese Pläne sind in der Regel spätestens zwei Wochen im Voraus bekannt zu geben; eine kürzere Frist ist nur in begründeten Ausnahmefällen zulässig. Was die Entlöhnung betrifft, macht das Gesetz keine konkreten Vorgaben zur Vergütung von Pikett-Diensten – diese muss vertraglich geregelt werden. Allerdings hat das Bundesgericht festgehalten, dass auch die Zeit, in der sich Arbeitnehmende lediglich in Bereitschaft halten, zu entlöhnen ist – wenn auch in geringerem Umfang als ein tatsächlicher Einsatz. Die konkrete Höhe dieser Entschädigung ist Verhandlungssache zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden. Roman kann die Einführung des Pikett-Dienstes also ablehnen, ohne arbeitsrechtliche Konsequenzen befürchten zu müssen. Falls er der Änderung dennoch zustimmt, steht ihm weiterhin der gesetzliche Schutz als Vater zu – insbesondere in Bezug auf die Arbeitszeitgestaltung und Einsatzplanung.
Fall 2: Einsatztage und Ruhezeiten Andreia ist Lebensmitteltechnologin und arbeitet in einer Produktionsfabrik. Ihr Arbeitstag dauert normalerweise von 7.00 bis 16.30 Uhr. Doch einige Maschinen laufen auch nach Schichtende weiter. Falls es doch eine Störung gibt, ist der Pikett-Dienst zuständig. Einmal im Monat ist sie für eine Woche auf Abruf.
So auch in dieser Nacht: Kurz nach drei Uhr morgens reisst sie der schrille Ton des Pagers aus dem Schlaf. Noch halb benommen greift sie nach ihrem Tablet – eine Verpackungsmaschine ist ausgefallen. Andreia steigt ins Auto und fährt in die Firma. Vor Ort analysiert sie das Problem und nach zwei Stunden Reparatur kann die Produktion weitergehen.
Erschöpft fährt sie nach Hause. Eine knappe Stunde Schlaf bleibt ihr, dann klingelt der Wecker. Um sieben Uhr steht sie mit müden Augen in der Firma. Ihr Kollege mustert sie: «Pikett-Einsatz gehabt? Hättest du nicht noch etwas länger schlafen dürfen?» Andreia zuckt mit den Schultern und fragt sich: Hätte sie das wirklich gekonnt?
Rechtlich gesehen handelt das Unternehmen korrekt, wenn Andreia einmal im Monat eine Woche Pikett-Dienst übernimmt. Das Arbeitsgesetz erlaubt, dass Arbeitnehmende innerhalb eines Vier-Wochen-Zeitraums an maximal sieben Tagen – ob aufeinanderfolgend oder einzeln – für einen Bereitschaftsdienst eingeplant werden dürfen. Zu beachten ist jedoch, dass Nacht- und Sonntagseinsätze in vielen Betrieben bewilligungspflichtig sind. Zudem müssen gesetzlich vorgesehene Zuschläge für Sonntags- und Nachtarbeit ausbezahlt werden.
Was die Ruhezeiten betrifft, schreibt das Arbeitsgesetz eine tägliche Ruhezeit von mindestens elf Stunden vor. In Andreias Fall endet der reguläre Arbeitstag um 16:30 Uhr, der Pikett-Einsatz beginnt erst um 3:00 Uhr – damit ist die Ruhezeit eingehalten.
Wäre diese Mindestruhezeit unterschritten worden, hätte Andreia das Recht, ihre reguläre Arbeit erst wieder aufzunehmen, wenn die elfstündige Erholungszeit vollständig gewährleistet ist. Kommt es innerhalb eines Tages zu mehreren Pikett-Einsätzen, gilt zusätzlich: Die Ruhezeit muss insgesamt mindestens elf Stunden betragen, wobei eine Ruhephase davon mindestens vier Stunden am Stück umfassen muss.