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«Burnout – weg vom Fenster»

Der Film «Burnout – weg vom Fenster» regte die Anwesenden zum Nachdenken an: Eine starke Erschöpfungsdepression zwingt Matthias, einen jungen und erfolgreichen Geschäftsmann, eine Pause einzulegen. Im Film erzählt Matthias, welche Schlüsse er daraus für sein Berufsleben gezogen hat: «Keiner hat auf dem Sterbebett jemals gesagt, ich hätte mehr Zeit im Büro verbringen sollen.»
Andi Zemp und Marie-Louise Fries im Gespräch

Auf die Frage, was denn ein Burnout genau sei, antwortete unser Gast, Andi Zemp, Psychologe und Fachmann für Burnout: «Ein Burnout beschreibt eine Person in einer Risikosituation aufgrund von sehr langem und intensivem Stress. Bei einer hohen und dauerhaften Stressbelastung ‹vergiften› wir uns innerlich mit dem Stresshormon Cortisol. Dies führt dazu, dass unser Gehirn, unser Gedächtnis nicht mehr richtig funktioniert, unsere Konzentrationsfähigkeit eingeschränkt wird und unser Zugang zu Emotionen reduziert ist. Wenn eine Person in diesem Moment nicht gut zu sich selber schaut, kann sie eine Krankheit daraus entwickeln, zum Beispiel einen Herzinfarkt, eine Depression, eine Angststörung oder eine Abhängigkeit wie Alkoholsucht. Auch körperliche Konsequenzen sind möglich: Rheuma, Tinnitus, Hirnschlag, Diabetes... Eine Erschöpfungsdepression ist somit nur eine von vielen möglichen Folgen eines Burnouts.»

Sich selbst Sorge tragen

Nach dem offiziellen Teil gingen die Gespräche beim Apéro angeregt weiter. Von Fachpersonen aus der Region erhielten wir die Rückmeldung, dass die Anzahl der Betroffenen auch in unserer Region zunehmen würde. Zudem falle auf, dass auch Hausfrauen von Burnout betroffen seien. Somit sind wir wohl alle gefordert, unser eigenes Limit zu spüren und zu kommunizieren. Auch ist es wichtig, uns selber die Wertschätzung für unsere – manchmal nicht anerkannte – Arbeit selbst zu geben und uns so selbst Sorge zu tragen.

"In Zusammenarbeit mit Unternehmen, habe ich festgestellt, dass Firmen tendenziell viel in die Weiterbildung der Mitarbeitenden investieren, anstatt eigene Prozessabläufe zu optimieren, und dementsprechende Lösungsansätze zu suchen."

Andi Zemp

Auszug aus dem Experten-Gespräch mit Andi Zemp

Marie-Louise: Besten Dank für Ihre Anwesenheit für den zweiten Teil dieses Abends; Besten Dank an Andi Zemp für deine Präsenz. Vorerst möchte ich die Aussage auf dem Flyer berichtigen, und zwar hat Andi nicht den Protagonisten des Filmes persönlich begleitet, sondern diente dem Regisseur als Fachexperte. Somit würde es mich interessieren Andi, wie wird man zum «Burnout-Experte»? Wie hast du dich für diesen Weg/Berufung entschieden?

Andi Zemp: Ich habe in Bern Psychologie studiert, und zu meiner Zeit, vor dem Bologna-System, konnte man kreuz und quer verschiedenste Vorlesungen besuchen, man hatte die Möglichkeit und die Zeit dafür. Somit besuchte ich in meiner Freizeit, also wen keine Kurse über klinische Psychologie stattfanden, Vorlesungen über die Arbeit- und Organisationspsychologie. Für mich spannend war bereits damals der Zusammenhang zwischen dem privaten/persönlichen Leben und der Arbeitswelt des Menschen. Schlussendlich die Hintergründe der Gesundheit des Menschen in beiden Bereichen ob im privaten wie im beruflichen Alltag. Schliesslich zählt die Arbeit/Tätigkeit zu den wichtigsten Faktoren, um die Gesundheit aufrecht zu erhalten. So in etwa hat sich mein Werdegang abgebildet. Dieser Begriff Burnout gab es damals gar nicht, es ist ein neudeutsches Wort. Dazumal war die Rede vom Nervenzusammenbruch, was heute dem allgemeinen Ausdruck Burnout am nächsten steht. Nach dem Studium half ich beim Programm einer klinischen Vorsorge von Nervenzusammenbrüchen und bin somit in dieses Fachgebiet reingerutscht.

Marie-Louise: Spannend. Nach diesem Film fragt man sich, ob ausschliesslich oder mehrheitlich Führungspersonen anfällig auf Burnouts sind. Oder gibt es ein bestimmtes Menschenprofil für Burnouts-anfälligere? Oder kann ein Burnout jede/n treffen?

Andi Zemp: Grundsätzlich kann ein Burnout jeden treffen. Sicherlich sind Führungspositionen dem Risiko mehr ausgesetzt, aber die Persönlichkeit ist ebenfalls auschlaggebend. Der Film zeigt diesen speziellen Typus wie Matthias gut auf, er entspricht einem bestimmten Charakter, der sich vollkommen in seine Tätigkeiten einbringt «man macht etwas ganz oder gar nicht». Ein solcher Charakter ist tendenziell mehr gefährdet, kann sich aber coachen, indem er seine Betätigungen gelassener angeht, wie es eben Matthias noch heute weiterführt. Es gibt effektive gewisse Branchen, welche mehr vom Burnout betroffen sind als andere. Schlussendlich können Männer wie Frauen; jüngere wie ältere aus jeglichen Branchen betroffen sein. Festgestellt wurde die Zunahme der Burnouts allgemein.

Etwas provokativ möchte ich hinzufügen, dass bei Burnouts von Führungspersonen sich die Firmen intensiver für Lösungsansätze einsetzten, mit Prozessanpassungen usw., um die kostspielige Schlüsselposition zu gewährleisten.

Marie-Louise: Das Arbeitsumfeld ist für unsere Psyche sehr prägend, und man verbringt besonders viel Zeit bei der Arbeit. Was geschieht oder was sollte man in solchen Firmen anpassen, wo Personen Burnouts erleiden? Welche Erfolgsmethoden sind empfehlenswert für diese Unternehmen?

Andi Zemp: Grundsätzlich sind klare Prozesse, wie Abläufe festzusetzten. Es gibt eine Studie von zwei Finnen, die untersucht haben, was der Mensch benötigt, um gesund zu bleiben. In erster Linie ergab sich die Arbeitsorganisation; die Führungskultur spielt ebenfalls eine wichtige Rolle; die persönliche Gesundheit und an letzter Stelle die fachlichen Kompetenzen. In einem Unternehmen tätig zu sein, wo viel Wertschätzung ausgesprochen wird, eine klare Arbeitsaufteilung / Zuständigkeit existiert, die eigene Rolle klar definiert ist und wo man einen Sinn in der eigenen Tätigkeit erkennen kann, ist die fachliche Kompetenz nicht mehr so ausschlaggebend. Denn bei Fragen weiss man wo, an wen man sich wenden kann. In Zusammenarbeit mit Unternehmen, habe ich festgestellt, dass Firmen tendenziell viel in Weiterbildungen für Mitarbeiter investieren, anstatt eigene Prozessabläufe zu optimieren, und dementsprechende Lösungsansätze zu suchen.

Marie-Louise: Es geht also in Richtung Fehlerkultur im Unternehmen zu zulassen, also dass man bei Unklarheiten dies auch sagen darf. Gut, ich denke wir haben das Fundament gelegt, ich kann mir vorstellen, dass das einige Gäste sicherlich auch noch Fragen haben.

"Als erstes ist jedenfalls Bewegung angesagt. Man muss nicht 'richtig Sport treiben' wie joggen, sondern einfach bewegen. So bauen sich die Stresshormone am besten ab."

Andi Zemp

Dame: Was geschieht aus medizinischer Sicht bei einem Menschen, der ein Burnout hat?

Andi Zemp: Ich bin kein Mediziner, aber im Grunde genommen entsteht eine Stressreaktion. Dieses Stressprogramm diente dem Menschen in der Steinzeit entweder zur Flucht oder zum Kampf. Ein Mensch, der in eine Burnout Situation gleitet, ist eigentlich permanent in diesem Flucht- oder Kampfmodus, und das Hirn schüttet kontinuierlich Adrenalin aus. Solche Adrenalinschübe sind in bestimmten Situationen ganz lustig, beispielsweise auf Achterbahnen. Doch bei ständig zunehmenden Ausschüttungen, löst das Hirn ein weiteres Stresshormon - das Kortisol - ebenfalls aus. Ständige Ablieferung dieser Stresshormone können physiologische Folgen verursachen, Adrenalin schlägt im Herzkreislauf zu, also Herzinfarkts bspw.; hingegen Kortisol „vergiftet" in gewissem Masse das Hirn, was zu Vergesslichkeit und Konzentrationsstörungen führt und den Zugang zu Emotionen einschränkt. Dieser Lähmungseffekt der Gefühle breitet sich aus und das Grundgefühl verschwimmt, nur starke Emotionen platzen aus dem Nichts heraus. Dies sind einige medizinische Tatsachen, welche sich auf die Psyche auswirken. Es gibt noch weitere medizinische Auswirkungen, auf welchen ich heute nicht weiter eingehe.

Dame: Was würden Sie jemandem empfehlen, der/die spürt, dass er/sie burnout-gefährdet ist?

Andi Zemp:Selbsterkennung ist bereits sehr gut, denn die Wenigsten bemerken die ersten Anzeichen des Burnouts selber. Es liegt daran, dass die Stressreaktion zu einem sogenannten Tunnelblick führt, als würde man nur durch WC-Papier-Kartons sehen. Nichtdestotrotz bei eigener Feststellung eines Burnout-Risikos, wäre es sinnvoll jemanden aufzusuchen, um über mögliche Massnahmen zu diskutieren. In der eigenen Paarbeziehung darüber auszutauschen ist ok, aber so ein Gespräch vermischt sich schnell mit weiteren Alltagsthemen. Ein Gespräch zu suchen mit einer externen Person, die sich mit dem Thema auskennt, bewährt sich mehr.

Als erstes ist jedenfalls Bewegung angesagt. Man muss nicht "richtig Sport treiben" wie joggen, sondern einfach bewegen. So bauen sich die Stresshormone am besten ab. Optionen gibt es verschiedene, vorerst muss festgelegt werden wo Änderungsmöglichkeit sind. Gleich an der Stressquelle oder an Folgen des Stresses wie Schlafstörungen usw.? Grundsätzlich liegt die beste Lösung an der Stressquelle anzusetzen, doch dies ist nicht immer möglich.

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Das Gespräch ging noch weiter... Bei Fragen wenden Sie sich am besten direkt an Andi Zemp oder eine andere Fachperson aus der Region. Bei Problemen im Arbeitsalltag stehen wir als Gewerkschaft ebenfalls an Ihrer Seite !

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