Skip to main content

Eine Win-Win-Situation

Als Gewerkschaft steht man unter Beschuss, nur die schwarzen Schafe unter den Arbeitgebenden zu suchen. Syna ist es wichtig Best-Practise Beispiele hervorzuheben, die aufzeigen, dass unsere Forderungen umsetzbar und gewinnbringend sind: für Arbeitgebende und Arbeitnehmende.

Die Webagentur Liip hat bereits mehrere Auszeichnungen gewonnen für ihr Engagement für ihre Mitarbeitenden. Dieses Jahr bereits das zweite Mal den Prix Balance des Kantons Zürich. Gleichzeitig werden sie ausgezeichnet für die Qualität ihrer Arbeit, was zeigt, dass gute Arbeitsbedingungen und gute Arbeitsqualität Hand in Hand gehen. Wir wollten wissen, welche Überzeugungen und Erfahrungen dahinter stecken und haben ihnen ein paar Fragen gestellt.

"Weiter wird einem ein hohes Verständnis für familiäre Pflichten entgegengebracht."

Stefan Schweingruber

Was macht für Sie den Unterschied im Vergleich zu früheren Arbeitgebenden?
Stefan Schweingruber (Frontend-Entwickler, arbeitet Teilzeit (80%), Vater):
Für mich hat sich sehr viel verändert von meinem letzten Arbeitgeber zu Liip. Hervorheben würde ich die hohe Flexibilität im Alltag. Arbeitszeiten sind weitestgehend variabel, Homeoffice ist möglich und wenn ich mal spontan Lust auf etwas Sport habe, dann bin ich eben mal ein zwei Stunden nicht am Arbeitsplatz. Weiter wird einem ein hohes Verständnis für familiäre Pflichten entgegengebracht: Sprich wenn mal der Babysitter ausfällt und man kurzfristig einspringen muss, ist das schlicht ok, was besonders für mich als jungen Vater eine enorme Entlastung ist. All das setzt eine offene und direkte Kommunikation voraus, was eine weitere Stärke der Liip ist: die Transparenz innerhalb der Firma.

Wie ist Liip organisiert?
Nadja Perroulaz (Mitgründerin, arbeitet Teilzeit (70%), Mutter):
Das Organisationsmodell von Liip heisst Holacracy. In diesem selbstorganisierten System ist Transparenz einer der Eckpfeiler. Jede*r neue Mitarbeiter*in stimmt mit Unterzeichnung des Arbeitsvertrages der Selbstorganisation zu. Bei Liip arbeiten wir mit Jahresarbeitszeiten und der Beschäftigungsgrad kann quartalsweise angepasst werden. Jede geleistete Stunde wird im Zeiterfassungssystem aufgeschrieben und vergütet oder kann kompensiert werden. Das Tagesgeschäft funktioniert mit Holacracy und nicht wegen Holacracy. Wir entwickeln unsere Projekte mit der agilen Projektmethodik Scrum - zur vollsten Zufriedenheit unserer Kunden.

"Seit der Firmengründung gilt bei Liip eine zu 100% entschädigte, 4-wöchige Vaterschaftszeit. Im Mutterschaftsurlaub werden 16 Wochen zu 100% vergütet."

Nadja Perroulaz
v.l.n.r. Jenny Zehnder (Marketing & Communications), Hannes Gassert (co-founder) & Nadja Perroulaz (co-founder)

Bei Ihrer Befragung der Mitarbeitenden hat sich herausgestellt, dass Teilzeitmitarbeitende zufriedener sind als Vollzeitbeschäftigte.
Nadja Perroulaz:
Bei Liip arbeiten durchschnittlich 54% der Mitarbeitenden Teilzeit. Die meisten Mitarbeitenden arbeiten in einem Pensum zwischen 60 und 80%. An den freien Tagen werden sowohl Kinder und/oder Angehörige betreut als auch Hausarbeit erledigt. Mitarbeitende investieren ihre Liip-freie Zeit auch für Aus- und Weiterbildungen, Sport oder anderen Engagements für die Gesellschaft. Kleinere Pensen in fester Anstellung erlauben eine bessere Balance von Beruf- und Privatleben und unterstützen zeitgemässe, gleichberechtigte Familienentwürfe.

Gibt es weitere Unterstützung für Familien?
Nadja Perroulaz:
Seit der Firmengründung gilt bei Liip eine zu 100% entschädigte, 4-wöchige Vaterschaftszeit. Im Mutterschaftsurlaub werden 16 Wochen zu 100% vergütet. Gerade bei den frisch gebackenen Vätern stellen wir fest, dass sie nach der Geburt bereit sind, ihren Beschäftigungsgrad zu reduzieren, um Familienarbeit zu übernehmen. Das wiederum ist für ihre Partnerinnen interessant, weil dadurch ein rascher Wiedereinstieg nach der Mutterschaftszeit ermöglicht wird. Jahresarbeitszeit heisst auch flexiblere Ferienzeiten. So wird während der Schulzeit teilweise mehr gearbeitet, um in den Schulferien mehr mit den Kindern zu unternehmen.


Was sind einfach umsetzbare Regelungen, welche andere Arbeitnehmende in ihren Unternehmen einfordern sollten?
Nadja Perroulaz:
Flexible Arbeitszeiten und -orte sollte in der digitalen Welt für alle zugänglich sein und somit auch eingefordert werden. Meetings nicht an Randzeiten zu halten, dass beispielsweise Kinder pünktlich zur Kita gebracht und abgeholt werden können, das fördert Familienfreundlichkeit. Teilzeitpensen sollten für alle Geschlechter gleichermassen eingefordert werden und Jobsharing sollte genauso möglich sein wie arbeiten zu einem Beschäftigungsgrad von weniger als 80%.

184 Mitarbeitende, davon 57 Frauen (31%) und insgesamt 80 mit Familie

Bei Liip haben die Mitarbeitenden unter anderem folgende Möglichkeiten:
- Alles mitzubestimmen (wir haben kein Management)
- den Arbeitsplatz in Notfällen zu verlassen
- die Unterstützung durch das Unternehmen, um Berufs- und Privatleben zu vereinen
- Optionen für unbezahlten Urlaub
- flexible Mitgestaltung der Arbeitszeit – über die Hälfte der Angestellten arbeitet teilzeit
- transparentes Lohnsystem und volle Lohntransparenz
- Gewinnverteilung (13 Monatslöhne und eine Gratifiktion bei gutem Geschäftsgang für alle oder für niemanden)

"Auch das Thema Arbeitsplätze im Alter muss adressiert werden, genauso wie die Gleichstellung und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit."

Nadja Perroulaz

Wie steht Liip zu den aktuellen Angriffen auf das Arbeitsgesetz?
Nadja Perroulaz:
Seit der Gründung von Liip setzen wir uns als Unternehmen für faire und transparente Arbeitsbedingungen ein. Zwei Gründe warum wir an der Arbeitszeiterfassung festhalten sind:
1. Die Transparenz gegenüber den Kunden. Wir entwickeln agil und unsere Kunden wissen regelmässig und im Detail, für welche Arbeiten sie wie viel bezahlen.
2. Genauso wichtig ist uns das Wohl der Mitarbeitenden. Flexible Arbeitszeiten erfordern auch, dass die geleisteten Stunden aufgeschrieben werden können und diese zur Entschädigung führen

Wofür sollte sich die Syna als Interessenvertretrein der Arbeitnehmenden in Zukunft einsetzen?
Nadja Perroulaz:
Die Digitalisierung und die demographische Entwicklung verändern Unternehmen stark. Das Bewusstsein für diese Themen sollte in den Unternehmen verstärkt geschaffen werden. Hier können Gewerkschaften helfen. Auch das Thema Arbeitsplätze im Alter muss adressiert werden, genauso wie die Gleichstellung und die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit.

Smartphone, Social Media & Co. erschweren heute die klare Trennung von Beruf und Privatem. Wie geht ihr damit um?
Nadja Perroulaz:
Durch die Selbstorganisation werden die Mitarbeitenden auch befähigt, ihre Prioritäten entsprechend zu setzen. Private Termine werden genauso ernst genommen wie berufliche. Wenn jemand nicht arbeitet ist er auch nicht erreichbar. Für Ferienabwesenheiten gibt es klare Prozesse zur Übergabe von offenen Tasks. Jede gearbeitete Stunde wird entlohnt und kann kompensiert werden. Zudem gibt es Rollen im Unternehmen die coachen und challengen um die Überstunden nicht nur transparent statistisch zu erheben, sondern sie auch wieder abzubauen. Natürlich braucht dieses Thema auch Selbstdisziplin. 

"Jede*r Mitarbeitende erhält jährlich einen dedizierten Betrag zur freien Verfügung von Aus- und Weiterbildungen."

Nadja Perroulaz

Liip fördert die Weiterbildung von Mitarbeitenden. Inwiefern?
Nadja Perroulaz:
Jede*r Mitarbeitende erhält jährlich einen dedizierten Betrag zur freien Verfügung von Aus- und Weiterbildungen. Der Betrag kann ohne Rücksprache oder Abnahmeprozess für verschiedenste Berufs-relevante Weiterbildungsaktivitäten gebucht werden. Als Beispiel besuchen unsere Entwickler*innen gerne Technologie Konferenzen im Ausland, Sprachkurse oder kaufen Bücher.

Welche Rolle spielt das Betriebliche Gesundheitsmanagement bei Liip?
Nadja Perroulaz:
BGM spielt bei Liip eigentlich keine Rolle, nicht weil wir das nicht gutheissen, sondern weil wir bereits sehr fortschrittliche Arbeitsbedingungen haben - die Konditionen und die Organisationsmethode stimmen. Mitarbeitende haben alle Instrumente in der Hand um die Arbeitszeiten selber zu bestimmen und ihr persönliches Zeitmanagement im Griff zu behalten. Mit Standorten in Zürich, Lausanne, Bern, Fribourg und St. Gallen ist Liip lokale Nähe und weniger Pendeln sehr wichtig. Wir sind überzeugt, dass gerade in hektischen Zeiten mit Familie, Studium und Arbeit die Erholung wichtig ist. Um einen Anreiz zu schaffen, auch mal tagsüber zu relaxen, bestehen an jedem unserer fünf Standorte individuelle Sport- und Erholungsmassnahmen. Diese reichen von Yoga, Bootcamp, Massagen bis hin zu Tischtennis und Tischfussball. Liip bezahlt dabei das Material, nicht jedoch die Arbeitszeit. Alle Standorte verfügen über gut ausgestattete Küchen und Essgelegenheiten und besorgen sich wöchentlich Früchte auf dem Markt. Die Arbeitsplätze verfügen über höhenverstellbare und ergonomisch einstellbare Tische. Mit zentralen Lokalitäten und ½ Tax Abonnementen fördern wir explizit die Benutzung des Öffentlichen Verkehrs; mit einer Beteiligung an Fahrrädern unserer Mitarbeitenden setzen wir uns noch stärker für die Umwelt ein.

Welches sind wichtige Erfolgsbestandteile von Liip?
Nadja Perroulaz:
Alle Mitarbeitenden sind befähigt, in ihren Rollen Entscheidungen zu treffen und das System, also auch das Organigramm anzupassen. Die Autorität ist bei uns auf alle Mitarbeitende im Unternehmen verteilt. Jede Rolle und jeder Kreis haben absolute Autorität. Menschen entscheiden somit in ihren Rollen selber über Prioritäten und Ressourcen. Das heisst jedoch nicht, dass alle machen können was sie wollen, ganz im Gegenteil: es gibt klare Regeln. Die Erfolgsbestandteile sind die Nutzung der kollektiven Intelligenz, wenn Spannungen bestehen. Die Spannungen führen zu Verbesserungen des Systems - das erhöht die Innovationskraft und die Effizienz der gesamten Unternehmung.

Liip ist ein sehr dynamisches Unternehmen, welche nächsten Massnahmen sind in Diskussion um das Wohlbefinden der Mitarbeitenden noch zu verbessern?
Nadja Perroulaz:
Die Arbeitskonditionen werden laufend überprüft und wenn nötig angepasst. Digitalisierung und Selbstorganisation wird auch in internen Bereichen konsequent umgesetzt. Als Beispiel werden im HR Bereich viele Themen im "Self-Service" zur Verfügung gestellt. Das ist effizienzsteigernd für Mitarbeitende und Unternehmen. Es gibt verschiedenste Kanäle in welchen Mitarbeitende Fragen deponieren können. Peer-Coaching-Ansätze werden beispielsweise durch laufendes Feedback voran getrieben. Gegenseitige Unterstützung und Enabling werden gross geschrieben.

Wir bedanken uns bei Liip für den spannenden Einblick und hoffen, dass sich viele LeserInnen davon inspirieren lassen. Mehr über Liip, findest du hier.

Ähnliche Beiträge