Zum Hauptinhalt springen

Der Bau braucht einen zeitgemässen LMV

Ende 2025 läuft der aktuelle Landesmantelvertrag (LMV) im Bauhauptgewerbe aus. Im Sommer starten die Verhandlungen für den neuen Vertrag. Michele Aversa und Guido Schluep, Co-Leiter der Baubranche bei Syna, erklären im Interview, warum der LMV so wichtig ist – und mit welchen Forderungen sie in die Gespräche gehen.

Bevor wir über Forderungen sprechen: Warum ist der LMV überhaupt so zentral für die Leute auf dem Bau?

Michele Aversa: Der LMV ist der wichtigste Gesamtarbeitsvertrag im Bauhauptgewerbe. Er legt verbindlich fest, wie die Arbeitsbedingungen in der Branche aussehen – Löhne, Arbeitszeiten, Ferien, Spesen, Kündigungsfristen und vieles mehr. Besonders relevant ist: Er ist allgemeinverbindlich. Das heisst, er gilt für sämtliche Betriebe der Branche – unabhängig davon, ob sie dem Vertrag zugestimmt haben. So sorgt der LMV für einheitliche Standards und schützt alle Arbeitnehmenden auf dem Bau.

Guido Schluep: Insgesamt sind das über 80'000 Arbeitnehmende – von der Strassenbauerin über Maschinisten, Kranführer und Vorarbeiter bis hin zu den Chauffeuren, die Material auf die Baustellen bringen. Auch Lernende und besonders temporär Angestellte, die über Personalverleihfirmen eingesetzt sind, profitieren von den festgelegten Regelungen.

Michele Aversa: Und auch die Betriebe profitieren, denn dank der Allgemeinverbindlichkeit wird verhindert, dass sich Konkurrenten über schlechtere Arbeitsbedingungen Wettbewerbsvorteile verschaffen. 

Welche Forderungen bringt Syna in die anstehenden Verhandlungen ein?

Guido Schluep: Ein zentrales Anliegen ist die Bezahlung der Fahrzeit. Heute wird die erste halbe Stunde Fahrt zur Baustelle und zurück pro Tag nicht vergütet. Das ist schlicht unfair. Wer für den Arbeitgebenden unterwegs ist, soll dafür auch bezahlt werden. Reisezeit ist Arbeitszeit, keine Freizeit.

Michele Aversa: Wir setzen uns zudem für eine Verbesserung der Arbeitszeitregelung ein. Ziel ist es, die Bauberufe attraktiver zu gestalten – insbesondere auch für junge Menschen.

Guido Schluep: Auch beim Lohn braucht es Fortschritte. Wir setzen uns für höhere Mindest- und Reallöhne ein. Dazu fordern wir eine bezahlte Znünipause – das ist in anderen Branchen längst Standard. Und auch bei den Mittagsspesen braucht es endlich eine Anpassung. Diese wurden jahrelang nicht erhöht, obwohl die Preise laufend steigen. Wer körperlich hart arbeitet, muss sich ein vernünftiges Mittagessen leisten können. 

Was erwartet ihr vom Baumeisterverband?

Michele Aversa: Offiziell hat der Verband noch keine konkreten Forderungen präsentiert. Aber wir gehen davon aus, dass es – wie in anderen Branchen – vor allem um mehr Flexibilität gehen wird. Gemeint ist meist: längere tägliche Arbeitszeiten, etwa bis zu zehn Stunden pro Tag.

Guido Schluep: Das wäre ein massiver Rückschritt. Wer zehn Stunden arbeitet, plus Pausen und Fahrzeit, ist rasch 12 bis 13 Stunden ausser Haus. Das ist unzumutbar. Da bleibt kaum Zeit für Familie oder Erholung. Die Menschen brauchen nicht längere Tage, sondern bessere Arbeitsbedingungen.

Michele Aversa: Schon der aktuelle LMV ist sehr flexibel. Im Sommer sind bis zu neun Stunden Arbeit täglich erlaubt, im Winter 7,75 Stunden – angepasst an die Tageslänge. Auch bei Überstunden gelten arbeitgeberfreundliche Regelungen. Noch mehr Flexibilisierung würde die Belastung weiter erhöhen – das lehnen wir entschieden ab.

Guido Schluep: Natürlich braucht der Bau gewisse Spielräume, aber das darf nicht dauerhaft auf dem Rücken der Büezer geschehen. Flexibilität ja – aber mit Augenmass und fairen Grenzen.

Was passiert, wenn sich die Sozialpartner nicht auf einen neuen LMV einigen können?

Guido Schluep: In diesem Fall droht ein vertragsloser Zustand. Das würde bedeuten: Es gelten nur noch die gesetzlichen Mindeststandards und nicht mehr jene des LMV. Neue Mitarbeitende könnten zu deutlich schlechteren Bedingungen angestellt werden, und auch Temporärfirmen hätten wieder mehr Spielraum für Dumpinglöhne. Das wäre ein klarer Rückschritt für die gesamte Branche.

Michele Aversa: Auch für die Arbeitgeberseite wäre das problematisch. Die Bauwirtschaft hat schon heute Mühe, genügend Fachkräfte zu finden. Ohne einen attraktiven LMV wird das noch schwieriger. Deshalb liegt eine gute Lösung auch im Interesse des Baumeisterverbands.

Guido Schluep: Und man darf nicht vergessen: Ohne LMV entfällt die Friedenspflicht. Streiks wären dann wieder möglich. Davon sind wir aber noch weit entfernt – jetzt stehen erst einmal die Verhandlungen im Sommer an.

Wie bereitet sich Syna auf diese Verhandlungen vor?

Guido Schluep: Wir rechnen mit anspruchsvollen Gesprächen. Deshalb setzen wir schon vor dem Start ein klares Zeichen. Am 17. Mai 2025 rufen wir gemeinsam mit der Unia zur grossen Bau-Demo in Lausanne und Zürich auf. Tausende Bauarbeiterinnen und Bauarbeiter werden gemeinsam auf die Strasse gehen und den gestellten Forderungen Nachdruck verleihen.

Michele Aversa: Es geht um faire Arbeitsbedingungen, um Respekt – und um die Zukunft des Baus. Nur gemeinsam mit den Arbeitnehmenden können wir einen modernen, starken LMV durchsetzen. Dafür stehen wir ein – entschlossen und solidarisch.

Ähnliche Beiträge

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Weitere Informationen Ablehnen Akzeptieren