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«Mädchen sollen im Profifussball eine echte Perspektive sehen»

Nicole Tiller setzt sich als Vertreterin der Spielerinnen und Spieler in der Schweiz für bessere Arbeitsbedingungen im Fussball ein. Die YB-Spielerin spricht über die Arbeit der Fussballgewerkschaft SAFP, die Herausforderungen im Frauenfussball und ihre Erwartungen an die Heim-EM. 

Du arbeitest bei der SAFP, der Gewerkschaft der Fussballspielerinnen und Fussballspieler. Etwas zynisch gefragt: Warum braucht es euch bei den Millionengehältern im Fussball?

Nicole Tiller: Viele denken beim Fussball sofort an Superstars und Millionensaläre. Doch das ist nur ein kleiner Teil der Realität. So sind in der höchsten Männerliga der Schweiz die Löhne zwar gut bis sehr gut, aber schon in der zweithöchsten Liga sieht es ganz anders aus. Und im Frauenfussball? Da können wir über solche Löhne nur schmunzeln. Hier fehlen oft schon grundlegende strukturelle Dinge wie professionelle Arbeitsbedingungen oder gesicherte Verträge.

Wie sieht eure Arbeit als SAFP konkret aus?

Unsere Arbeit hat zwei Hauptbereiche. Einerseits helfen wir einzelnen Spielerinnen und Spielern direkt. Sie können uns etwa ihre Verträge schicken, bevor sie unterschreiben. Viele haben zwar eigene Spielerberater, aber diese verdienen meist bei Verträgen mit und handeln somit nicht zwingend nur im Interesse der Spieler. Wir hingegen sind unabhängig und können neutral beraten.

Zudem helfen wir unseren Mitgliedern in Konfliktsituationen mit den Vereinen – etwa wenn Löhne nicht pünktlich gezahlt werden oder es Probleme mit Sozialleistungen gibt. Teilweise werden Spieler auch aus der ersten Mannschaft verbannt oder anderweitig benachteiligt. In solchen Fällen setzen wir uns für sie ein und suchen gemeinsam nach Lösungen.

Neben der individuellen Betreuung setzen wir uns auf nationaler und internationaler Ebene für bessere Strukturen im Fussball ein. Wir haben Sitzungen mit der Liga und dem Schweizer Fussballverband und bringen dort die Interessen der Spielerinnen und Spieler ein. Zudem sind wir Teil von Fifpro, der internationalen Gewerkschaft für Fussballprofis. So können wir langfristig Veränderungen bewirken. Beispielsweise konnten wir in Zusammenarbeit mit der FIFPro erreichen, dass die Preisgelder an den Weltmeisterschaften stark erhöht wurden, und bis 2027 sogar den Männern angeglichen werden

Du bist beim SAFP verantwortlich für den Frauenfussball. Welche Verbesserungen sind hier besonders notwendig?

Der Frauenfussball hat immer noch viele strukturelle Defizite. Das zeigt sich bereits bei scheinbar kleinen Dingen: Bis letztes Jahr gab es in der Liga keinen einheitlichen Spielball – jedes Team spielte mit einem anderen Ball. Doch auch auf grösserer Ebene gibt es noch viel zu tun, etwa in der Professionalisierung der Liga, der Vermarktung und der Organisation des Spielbetriebs.

Zudem braucht es Verbesserungen bei der Nachwuchsförderung. Wenn ich sehe, wie Junioren im Vergleich zu Juniorinnen gefördert werden, sind die Unterschiede gravierend. Es braucht mehr Investitionen in die Ausbildung junger Spielerinnen und gezielte Unterstützung für Trainerinnen. Ein grösserer Teil des finanziellen Kuchens aus dem Männerfussball sollte in die Frauenförderung fliessen. Denn solange weniger Geld in den Frauenfussball investiert wird, bleibt das Niveau tiefer, das Interesse geringer – und der Teufelskreis dreht sich weiter. Diesen Kreislauf müssen wir durchbrechen.

Dein erstes Spiel in der AWSL, der höchsten Schweizer Liga, hast du 2017 bestritten. Wie hat sich die Liga seither entwickelt?

Der Frauenfussball allgemein hat in den letzten Jahren Fortschritte gemacht – sowohl sportlich als auch strukturell. In meiner ersten Saison bei YB 2018/19 spielten wir noch auf Nebenplätzen. Heute laufen wir im Wankdorf auf und hatten in diesem Jahr an unserem letzten Ligaspiel über 10 000 Fans im Stadion.

Auch abseits des Platzes hat sich einiges bewegt. Bei YB arbeitet inzwischen eine Trainerin in Vollzeit – ein wichtiger Schritt, der die Trainingsqualität deutlich verbessert hat. Die Bedingungen für die Spielerinnen sind ebenfalls besser geworden: Wir haben erste Vollprofis im Team, und alle Spielerinnen erhalten mindestens einen Basisvertrag mit einem kleinen Gehalt sowie Leistungen wie Unfallversicherung und zusätzliche Physiotherapie.

Trotz aller Fortschritte sind die Unterschiede innerhalb der Liga nach wie vor gross. Während einige Teams fast ausschliesslich mit Vollprofis arbeiten, gab es bis vor Kurzem noch Clubs, in denen die Spielerinnen sogar Mitgliedsbeiträge leisten mussten. Das zeigt deutlich: Von echter Professionalisierung sind wir noch ein gutes Stück entfernt. Die Entwicklung ist ermutigend, aber der Frauenfussball ist noch lange nicht da, wo er sein sollte. 

Im Juli findet die Frauen-EM in der Schweiz statt. Was erhoffst du dir von diesem Grossanlass?

Ich hoffe, dass die EM dem Frauenfussball einen echten Schub gibt. Für viele Zuschauerinnen und Zuschauer wird es das erste Mal sein, dass sie ein Frauenfussballspiel live erleben. Sie werden sehen, wie hoch das Niveau wirklich ist und dass die Atmosphäre bei Frauenspielen oft sehr besonders ist.

Gleichzeitig müssen wir sicherstellen, dass die EM nicht nur ein einmaliges Highlight bleibt. Es darf nicht bei einem tollen Event enden – wir müssen die Aufmerksamkeit rund um das Turnier nutzen, um ein langfristiges Interesse zu wecken. Nur so kann eine nachhaltige Entwicklung entstehen. Ich hoffe, dass sich durch die EM auch auf Verbandsebene etwas bewegt, dass Vereine mehr investieren und der Frauenfussball endlich die Wertschätzung erhält, die er verdient.

Vor allem wünsche ich mir, dass junge Mädchen eine echte Perspektive im Profifussball sehen. Dass sie erkennen: «Ich kann Fussball spielen und davon leben.» Denn Fussball ist mehr als nur ein Sport – er vermittelt Teamgeist, Disziplin und Freude. Die EM kann ein grosser Schritt für den Frauenfussball sein. Jetzt gilt es, diesen Schwung mitzunehmen und nachhaltig zu nutzen. 

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