Jetzt gilt es ernst: Die Bauarbeiter kämpfen mutig für mehr Lohn und für die Rente mit 60 – unter anderem mit diversen Protestaktionen auf Baustellen. Guido Schluep berichtet von der Front.
Die Bau-Protestaktionen fanden ab Mitte Oktober in verschiedenen Städten der ganzen Schweiz statt und endeten mit der Schlusskundgebung am 6. November vor dem Hauptsitz der Baumeister in Zürich. Als Branchenverantwortlicher begleitete ich die Bauarbeiter während der Protestaktionen. Meine Eindrücke der ersten zwei Tage in Bellinzona und Genf:
15. Oktober, 7.02 Uhr: Baustelle im Stadtkern von Bellinzona
Die ersten Bauarbeiter treffen ein und die ersten Gespräche finden statt.8.10 Uhr: Der Polier lässt die Bauarbeiter selbst entscheiden, ob sie im nahe gelegenen Espocentro an der Informationsveranstaltung und dem nachmittäglichen Protestumzug teilnehmen möchten.
9.30 Uhr: Der Chef der Firma meldet dem Polier telefonisch: Er verbiete den Bauarbeitern, die Protestaktion zu unterstützen. Sollten die Gewerkschaften um 11 Uhr noch auf der Baustelle sein, werde die Polizei einschreiten. Die Mitarbeitenden der Gewerkschaft bleiben auf der Baustelle.
9.45 Uhr, Espocentro: In dieser Halle soll die Kundgebung um 11 Uhr starten. Ich bin überwältigt: Obwohl die Halle schon fast voll besetzt ist, sind draussen immer noch Hunderte Bauarbeiter, die hineindrängen.
11.41 Uhr: Der OCST-Verantwortliche Paolo Locatelli spricht zu den Bauarbeitern.
12.15 Uhr: Die Bauarbeiter mit Protestaktion-Verbot treffen doch noch ein.
13.05 Uhr: Start des grossen Protestumzugs durch die Altstadt von Bellinzona. Inzwischen haben sich weit über 3000 Bauarbeiter angeschlossen.
14.32 Uhr: Der Umzug macht unter Buhrufen und Pfiffen halt vor dem Tessiner Baumeisterverband.
16. Oktober, 6.00 Uhr: Genf
Fahrt zu einer Grossbaustelle am Stadtrand.
6.30 Uhr: Die Bauarbeiter treffen auf dem Parkplatz der Baustelle ein. Über die Hälfte der Fahrzeuge hat ein französisches Kennzeichen.
6.40 Uhr: Der Syna-Regionalverantwortliche Joël Mugny spricht vor der Bauunterkunft mit den anwesenden Bauarbeitern. Fast die Hälfte der 42 Männer der Belegschaft ist in einem temporären Verhältnis angestellt. Ein Angestellter tritt im Hintergrund an mich heran und erzählt mir, dass die Firma eine schwarze Liste führe. Wer uns am Protesttag unterstütze, verliere seine Arbeit.
7.02 Uhr: Fahrt durch den Stau im morgendlichen Genfer Berufsverkehr. Wir verlassen das Fahrzeug, um zu Fuss zur gesperrten Pont de Mont Blanc zu gelangen.
11.20 Uhr: Start des lauten und farbenfrohen Protestmarsches von über 2500 Bauarbeitern durch Genf. Dauerhafte Begleitung von unzähligen Polizisten, die sich ziemlich aggressiv vor jeder Baustelle an der Umzugsroute aufstellen. Für die nächsten 6 Stunden schwebt ein Polizeihelikopter über uns.
13.00 Uhr: Eintreffen vor dem Sitz FMB (Fédération genevoise des Métiers du Bâtiment) in der Nähe einer Implenia-Grossbaustelle, auf der noch gearbeitet wird. Die Bauarbeiter winken dem Protestumzug demonstrativ zu. Die Protestteilnehmenden versuchen, die Baustelle zu stürmen. Wir stehen kurz vor einem Tränengaseinsatz.
13.20 Uhr: Friedlich werden Sandwiches gegessen und portugiesisches Bier getrunken.
15.05 Uhr: Eintreffen beim Genfer Baumeisterverband mit einer starken, vielbejubelten Schlussrede unseres zuständigen Regionalsekretärs Carlos Massas. Die Teilnehmer entscheiden sich dazu, am nächsten Tag die Protestaktionen weiterzuführen.
Ein grosses Dankeschön an alle beteiligten Bauarbeiter für ihren mutigen Einsatz! Die Proteste gaben ein starkes Signal im Kampf für einen neuen Landesmantelvertrag, für mehr Lohn und für die Rente mit 60. Die Verhandlungen gehen in diesen Tagen weiter – und wir hoffen, endlich einen Durchbruch mit fairen Bedingungen für beide Seiten zu erreichen.
Wir halten dich auf dem Laufenden!
Weitere Informationen
Guido Schluep, Branchenleiter Bau