Hektik, Zeitdruck und unvorhergesehene Situationen führen oft dazu, dass Arbeitszeiten und Pausen durcheinandergewirbelt werden. Drei Beispiele aus unterschiedlichen Berufen zeigen, wie unterschiedlich Arbeitszeiten in der Praxis gehandhabt werden. Daniel Zoricic, Leiter des deutschschweizerischen Kompetenzzentrums für Recht bei Syna, gibt eine Einschätzung, ob die gesetzlichen Vorgaben dabei eingehalten wurden.
Fall 1: Kollegin fällt aus und somit auch die Pause
Es ist Sonntag, und Andrej freut sich auf seinen Arbeitstag im stadtbekannten Restaurant. Die Sonne scheint, und die Gäste kommen zahlreich zum Brunch. Andrej ist früh da, deckt Tische, richtet das Buffet her und sorgt dafür, dass alles perfekt aussieht. Doch dann die Nachricht: Eine Kollegin hat sich krankgemeldet, und es konnte kurzfristig kein Ersatz organisiert werden. Andrej und sein Team müssen die Arbeit untereinander aufteilen und deutlich mehr Tische betreuen als ursprünglich geplant.
Jeder im Team gibt alles, um den Gästen gerecht zu werden, doch eine Atempause ist nicht in Sicht. Die Tische sind ständig besetzt, und auf der grossen Sonnenterrasse wechseln sich die Gäste nahezu nahtlos ab. Ob zum Mittagessen oder für einen Kaffee – der Strom neuer Besucher reisst nicht ab. Andrej bleibt kaum Zeit, einen schnellen Bissen von seinem Sandwich zu nehmen. Eine richtige Mittagspause? Undenkbar. Erst am Nachmittag, als der grösste Trubel langsam abklingt, kann Andrej seine Pause machen.
Daniel Zoricic: Gerade in Berufen mit regelmässigem Kundenkontakt kommen solche Falle häufig vor. Laut Arbeitsgesetz (ArG) ist eine Mittagspause verpflichtend und deren Dauer hängt von der Arbeitszeit ab: Je länger die Schicht, desto länger muss die Pause sein. Zudem schreibt das Gesetz vor, dass die Pause möglichst in der Mitte der Arbeitszeit liegen soll. Wird sie – wie teilweise im Detailhandel üblich – erst am Ende der Schicht gewährt, verliert sie ihren eigentlichen Zweck.
Im Fall von Andrej scheint die späte Pause eine Ausnahme zu sein, vermutlich bedingt durch die Krankheitsabsenz einer Kollegin. In einer solchen Situation könnte man ein Auge zudrücken. Würde dies jedoch zum Normalfall, wäre es klar unzulässig und es müssten Lösungen gefunden werden, dass die Pause etwa in der Mitte des Arbeitseinsatzes gemacht werden kann.
Fall 2: Stau auf der Fahrt zur Baustelle
Tobias arbeitet als Elektriker in einem kleinen Team. Pünktlich um 7 Uhr starten er und seine Kollegen vom Magazin, beladen mit Material, in Richtung Baustelle. Doch unterwegs geraten sie in einen Stau, verursacht durch einen Unfall. Sie erreichen die Baustelle 30 Minuten später als geplant.
Kaum angekommen, legen sie sofort mit der Arbeit los, um die verlorene Zeit aufzuholen. Doch am Ende des Arbeitstages, als es Zeit für den Feierabend ist, sagt ihr Vorarbeiter: «Da ihr heute Morgen später angekommen seid, müsst ihr die 30 Minuten nacharbeiten.» Tobias empfindet das als ungerecht. Die Verspätung liegt nicht in ihrer Verantwortung, und trotzdem sollen sie dafür länger bleiben. Er fragt sich, warum die zusätzliche Fahrzeit nicht anerkannt wird und weshalb sie für eine Situation «zahlen» sollen, die sie nicht beeinflussen kann.
Daniel Zoricic: Tobias liegt mit seinem Einwand richtig. Sobald er seine Arbeitsleistung dem Arbeitgebenden zur Verfügung stellt, gilt dies gemäss Arbeitsgesetz (ArG) als Arbeitszeit. Es ist nicht zulässig, unternehmerische Risiken – wie in diesem Fall die verlängerte Fahrzeit aufgrund eines Unfalls – auf die Mitarbeitenden abzuwälzen. Das bedeutet, dass ab dem Moment, in dem Tobias und seine Kollegen vom Magazin losfahren, von Arbeitszeit gesprochen werden muss.
Für Elektriker gilt diese Regelung eindeutig. In anderen Branchen können jedoch teilweise abweichende Regelungen für Reisezeiten bestehen. Zu den Überstunden: Der Arbeitgebende darf, sofern es nach Treu und Glauben zumutbar ist, Überstunden verlangen, wenn ein betriebliches Bedürfnis besteht. Dabei handelt es sich jedoch um Arbeiten, die über die tägliche Sollzeit hinausgehen, und nicht um «Nacharbeit» im Sinne einer Nachholung. Im Fall von Tobias sind die zusätzlich geleisteten 30 Minuten daher zulässig, aber als Überstunden zu werten.
Fall 3: Zu knapp bemessene Vorbereitungszeit
Julia arbeitet als Verkäuferin in einer kleinen Bäckerei am Bahnhof. Schichtbeginn ist um 6 Uhr – eine halbe Stunde bleibt ihr dann, um Backwaren auszupacken, die Kaffeemaschine vorzubereiten und die Mittagsmenüs bereitzustellen. Doch die Zeit reicht kaum aus, denn schon um halb sieben warten die ersten Pendler auf Kaffee und Gipfeli.
Bei Ladenöffnung kommt eine weitere Verkäuferin dazu. Auch zu zweit bleibt kaum Zeit für die Vorbereitung. Der morgendliche Kundenansturm ist enorm. Julia, die neu ist, glaubt, langsamer zu sein als die anderen. Eine erfahrene Kollegin erklärt ihr aber, dass es allen so geht und dass sie einfach 20 Minuten vor Schichtbeginn unbezahlt erscheinen. Die Filialleiterin hat das Stempeln vor 6 Uhr untersagt, weil es «immer gut funktioniert habe». Julia fühlt sich ausgenutzt und versteht nicht, warum die, die für die Vorbereitung zuständig ist, jeden Morgen 20 Minuten ohne Bezahlung arbeiten soll.
Daniel Zoricic: Julia ist nicht verpflichtet, unbezahlt zu arbeiten, und ich rate ihr auch nicht, dies zu tun. Sobald sie ihre Arbeitszeit der Arbeitgeberin zur Verfügung stellt, gilt dies als Arbeitszeit. Das Problem in diesem Fall ist, dass Arbeiten vor sechs Uhr als Nachtarbeit zahlen würden. Dazu braucht es eine spezielle Genehmigung, die hier wohl nicht vorliegt.Es wäre sinnvoll, ein Gespräch mit der Filialleiterin zu führen, um mögliche Lösungen zu finden. So könnte beispielsweise das Angebot am Morgen reduziert werden, um die Vorbereitungszeit zu mindern. Eine weitere Möglichkeit wäre, dass die zweite Kollegin nicht erst mit der Ladenöffnung, sondern schon vorher mit der Arbeit beginnt, damit alles rechtzeitig vorbereitet ist. Alternativ könnte auch die Öffnungszeit um eine Viertelstunde verschoben werden. Doch eines ist klar: In jedem Fall muss Julia keine Gratisarbeit leisten!