Von Syna auf 30.8.2024
Kategorie: Gleichstellung

Diskriminierung kann jeden treffen

Der Gleichstellungsartikel (Art. 8 Bundesverfassung) verpflichtet seit 1981 den Gesetzgeber, für rechtliche und tatsächliche Gleichstellung zu sorgen. Seit 1996 schützt das Gleichstellungsgesetz (GlG) Menschen vor geschlechtsbasierter Diskriminierung am Arbeitsplatz, angefangen bei der Stellenausschreibung bis hin zur Kündigung des Arbeitsvertrags.

Das Gleichstellungsgesetz bringt zwei spezielle Regelungen mit sich. Einerseits gibt es eine Beweislasterleichterung. Das bedeutet, die klagende Partei muss bei Diskriminierung bezüglich Aufgabenteilung, Gestaltung der Arbeitsbedingungen, Entlöhnung, Aus- und Weiterbildung, Beförderung und Entlassung, diese nicht beweisen, sondern «nur» glaubhaft machen. Der Arbeitgeber muss dann beweisen, dass es keine unterschiedliche Behandlung gab, oder dass diese auf objektiven Kriterien beruhte. Ausgenommen von dieser Beweislasterleichterung sind Fälle von sexueller Belästigung oder Nichtanstellung. Hier muss die klagende Partei die Beweise erbringen. Die zweite wichtige Ausnahme betrifft die Gerichtskosten. Bei Verfahren im Rahmen des Gleichstellungsgesetzes werden keine Verfahrenskosten erhoben, es sei denn, es handelt sich um eine bös- bzw. mutwillige Prozessführung. Zudem greift während Verfahren zum GlG ein verstärkter Kündigungsschutz.

Wie das Gleichstellungsgesetz im Alltag zum Tragen kommt, zeigen die folgenden drei Fälle.

Fall 1: Wenn Vorurteile dominieren

Ein Kindererzieher bewirbt sich bei einer Kinderkrippe. Obwohl er die nötige Ausbildung hat und seine Bewerbungsunterlagen als sehr vielversprechend bewertet wurden, erhält er eine Absage. Die Begründung der Krippenleitung: Die Kinderkrippe möchte derzeit keine männlichen Mitarbeiter einstellen. In anderen Einrichtungen gab es Vorfälle von sexuellem Fehlverhalten durch männliche Kindererzieher. Deshalb sind auch einige Eltern dagegen, ihre Kinder von einem Mann betreuen zu lassen. Zudem kann die Kinderkrippe den Erzieher aufgrund begrenzter finanzieller Mittel im Falle eines möglichen Rechtsstreits mit den Eltern nicht unterstützen.

EntscheidDie Schlichtungsbehörde geht von einer Anstellungsdiskriminierung aus (Art. 3 Gleichstellungsgesetz). Die Parteien einigen sich auf eine Entschädigung von 8000 Franken.

Fall 2: Unterschiedliche Gewichtung beim Lohn

Eine Angestellte steigt über mehrere Jahre in einem Unternehmen für Cybersicherheit in den Hierarchiestufen auf. Sie wird zur Abteilungsleiterin befördert, wobei ihr weitere Abteilungen unterstellt sind. Später erfährt sie, dass einige ihrer Teammitglieder ein höheres Jahresgehalt (einschliesslich Boni und Erfolgsanteile) gegenüber ihr erhalten. Auch der Leiter einer ihr unterstellten Abteilung verdient mehr als sie. Nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren kündigt die Arbeitnehmerin und klagt vor Gericht auf Entschädigung sowie auf die ihrer Meinung nach ihr zustehende Lohndifferenz.

Entscheid: Eine Lohndiskriminierung gegenüber Untergebenen wird als wahrscheinlich erachtet, doch gelingt es der Arbeitgeberin, den vorübergehenden Lohnunterschied mit objektiven Gründen wie Ausbildung, Erfahrung, Alter oder Dienstalter zu erklären. Die Gerichte kommen daher zum Schluss, dass keine Lohndiskriminierung vorliegt.

Fall 3: Übergriffe in der Heimpflege

Eine Hausangestellte, kurz vor der Pension, arbeitet seit vier Jahren in Teilzeit für ein älteres Ehepaar und ist für Küche und Haushalt zuständig. Der Ehemann belästigt sie sexuell, zunächst mit anzüglichen Witzen, später mit Umarmungen und Versuchen, sie zu küssen. Sie wehrt sich und macht klar, dass sie nicht für seine intimen Bedürfnisse angestellt ist. Da der Ehemann krank ist und Medikamente mit der Nebenwirkung gesteigerten sexuellen Verlangens einnimmt, hat sie Verständnis, möchte sich aber schützen. Nach einem weiteren Übergriff informiert sie die Ehefrau und die erwachsene Tochter, diese ergreifen jedoch keine Massnahmen. Die Ehefrau fühlt sich überfordert, die Tochter glaubt, es stehe Aussage gegen Aussage. Nach einem erneuten Vorfall wird die Hausangestellte krankgeschrieben. Gespräche zur Lösung führen zu keinem Ergebnis, und die Ehefrau stellt die Lohnzahlung ein. Die Hausangestellte reicht ein Schlichtungsgesuch und eine Strafanzeige ein. Der Rechtsvertreter des Ehepaars droht mit einer Verleumdungsklage und bestreitet die Vorwürfe. Die Hausangestellte kündigt fristlos und fordert den ausstehenden Lohn sowie den Lohn bei ordentlicher Kündigung.

EntscheidDie Hausangestellte gibt vor dem Schlichtungsgericht eine glaubwürdige Schilderung der Vorfälle ab. Dieses gelangt deshalb zum Schluss, dass die geltend gemachten sexuellen Belästigungen tatsächlich so stattgefunden haben. Da das Ehepaar weder auf Prävention geachtet noch irgendwelche Abhilfe getroffen habe, sei eine Entschädigung geschuldet (Art. 4 und 5 Gleichstellungsgesetz). Die Parteien stimmen dem Einigungsvorschlag (9750 Franken Entschädigung und Bezahlung des ausstehenden Lohnes bis zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung) der Schlichtungsbehörde zu und schliessen einen Vergleich.

Fazit

Trotz bestimmter Erleichterungen durch das Gleichstellungsgesetz (GlG), wie die Beweislasterleichterung, den Verzicht auf Verfahrenskosten und den Schutz für anklagende Arbeitnehmende, scheuen sich immer noch viele Personen, Diskriminierungsprobleme am Arbeitsplatz anzusprechen oder rechtliche Schritte einzuleiten. Dies liegt einerseits am finanziellen Risiko (z.B. Parteientschädigung, Anwaltskosten), welches bei einer Niederlage drohen kann und andererseits am Risiko des Arbeitsplatzverlustes.

Dass diese Faktoren die Klagewahrscheinlichkeit beeinflussen, zeigt sich auch darin, dass 63 Prozent der Urteile des Bundesgerichts öffentlich-rechtliche Arbeitsverhältnisse betreffen, obwohl nur etwa jeder fünfte Arbeitnehmende in diesem Sektor tätig ist. Solche Arbeitsverhältnisse bestehen zwischen Arbeitnehmenden und öffentlichen Institutionen wie dem Staat, Gemeinden oder staatlichen Einrichtungen. Sie unterliegen speziellen Regelungen. Hier ist das finanzielle Risiko geringer, da keine Parteientschädigung gezahlt werden muss, und auch das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes im Vergleich zu privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen niedriger ist.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich Richter und Richterinnen gewohnt sind, ihre Beschlüsse anhand von Beweisen zu fassen und nicht anhand einer Glaubhaftmachung. Diese andere Handhabe scheint noch nicht in allen Köpfen angekommen zu sein. In über der Hälfte der Fälle, in denen die Beweislasterleichterung gemäss GlG greift, wird die Glaubhaftmachung nicht anerkannt.

Auch die Erfolgsaussichten können abschreckend wirken: Eine Analyse der kantonalen Rechtsprechung aus dem Jahr 2017 ergab, dass in 62,5 Prozent der Fälle die Entscheidungen vollständig oder überwiegend zu Ungunsten der Arbeitnehmenden ausfallen, die Diskriminierung nach dem GlG geltend machen. Gerade Diskriminierungsfälle brauchen für die Betroffenen viel Kraft, dafür aufzustehen und sich zu exponieren. Dieser Mut wird zu oft nicht belohnt.

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