Von Syna auf 17.1.2025
Kategorie: Syna Magazin

Wie arbeiten wir in der Zukunft?

Die Arbeitswelt unterliegt einem kontinuierlichen Wandel. Im Interview erläutert Thomas Bauer, Leiter der Wirtschaftspolitik bei Travail.Suisse, welche Chancen und Herausforderungen die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten mit sich bringt und welche Arbeitsmodelle künftig an Bedeutung gewinnen könnten. 

Die Arbeitswelt verändert sich rasant, und vielen fällt die Trennung zwischen Arbeit und Freizeit immer schwerer. Wie erlebst du diese Entwicklung?

Diesen Eindruck teile ich auch. Ein zentraler Treiber dafür ist die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeiten in den verschiedensten Formen. Die Arbeitgebenden verlangen nach immer kurzfristigeren Einsätzen und nach mehr Überstunden. Die Arbeitstage werden in vielen Branchen immer länger und in mehrere Schichten unterteilt, mit langen und unbezahlten Arbeitsunterbrechungen etwa am Nachmittag. Dazu kommt die ständige Erreichbarkeit. Diese Trends sind seit Langem zu beobachten und scheinen sich unaufhaltsam fortzusetzen, auch auf politischer Ebene finden sie immer mehr Zuspruch.

Ein konkretes Beispiel dafür ist die Parlamentarische Initiative Burkart. Sie schlägt vor, dass Arbeitnehmende, die im Homeoffice arbeiten und ihre Arbeitszeit weitgehend selbst einteilen können, diese auf bis zu 17 Stunden täglich verteilen dürfen – von 7 Uhr morgens bis 23 Uhr, auch an Sonn- und Feiertagen. Solche Konzepte fördern eine 24/7-Gesellschaft, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zunehmend verschwimmen.

Flexibler arbeiten ist doch auch ein Wunsch der Arbeitnehmenden. Das zeigt zumindest eine Studie des Arbeitgeberverbandes.

Solche Studien sind oft so aufgebaut, dass sie ein bestimmtes Ergebnis begünstigen. Wenn man fragt: «Würdest du es gut finden, deine Arbeitszeit flexibel einteilen zu können?», dann antworten die meisten natürlich mit Ja. Denn das klingt nach einer idealen Lösung, die auf individuelle Bedürfnisse eingeht.

Was in diesen Umfragen jedoch nicht thematisiert wird, ist, dass Flexibilisierung oft auch bedeutet, dass der Arbeitgebende damit die Arbeitslast besser auf die Arbeitnehmenden verteilen kann. Flexibilisierung heisst dann, mehr Arbeit am Abend, mehr Überstunden, mehr Arbeit am Samstag oder sogar am Sonntag, bei höherer Arbeitsintensität. Die zentrale Frage bei Flexibilisierung ist immer: Wer entscheidet, wann gearbeitet wird? Ist es der Arbeitnehmende oder der Arbeitgebende? Flexibilität kann positiv sein, wenn sie echte Wahlfreiheit bedeutet. Problematisch wird es, wenn die Flexibilisierung einseitig ist und dazu genutzt wird, Arbeitnehmende unter Druck zu setzen.

Also wirkt Flexibilisierung auf den ersten Blick oft positiver für die Arbeitnehmenden, als sie tatsachlich ist?

Genau das ist der Punkt. Die häufigsten Probleme haben wir soeben angesprochen. Und selbst für die wenigen Arbeitnehmenden, die tatsächlich selbst entscheiden können, wann sie arbeiten möchten, kann es ungesund sein: morgens arbeiten, wenn die Kinder in der Schule sind, mittags den Mittagstisch mit den Kindern, dann zwei Stunden arbeiten und abends noch ein paar Stunden dranhängen, wenn die Kids im Bett sind. Eine derartige Zerstückelung des Arbeitstages führt mittelfristig oft zu Überlastung.

Des Weiteren entsteht ein subtiler Druck, immer erreichbar zu sein, besonders wenn Kolleginnen und Kollegen abends noch E-Mails verschicken oder an Videokonferenzen teilnehmen. Das führt dazu, dass Arbeitnehmende das Gefühl bekommen, nie wirklich abschalten zu können. Diese Art der Flexibilisierung führt langfristig zu gesundheitlichen Problemen– von Schlafstörungen bis zum Burnout. Der Arbeitstag braucht klare Grenzen, sonst unterscheidet er sich nicht mehr von einem Hamsterrad. 

Bürojobs mit Homeoffice sind nur ein Teil der Arbeitswelt. Wie zeigt sich die Flexibilisierung in anderen Branchen?

Die zunehmende Flexibilisierung trifft Branchen ohne Büroarbeit oft sogar noch stärker. Ein gutes Beispiel dafür ist der Detailhandel. Um den veränderten Konsumbedürfnissen einer 24/7-Kundschaft gerecht zu werden, sollen Läden immer länger geöffnet sein – auch an Sonntagen. Für die Arbeitnehmenden bedeutet das nebst Sonntagsarbeit, unregelmässige Arbeitszeiten und zerstückelte Arbeitstage. So werden Arbeitszeiten häufig auf Stosszeiten reduziert, etwa jeweils zwei Stunden morgens, mittags und abends, dazwischen liegen lange unbezahlte Pausen. Diese sind kaum sinnvoll nutzbar und gleichzeitig verlängern sich die Arbeitstage auf bis zu 12 Stunden oder mehr.

Eine weitere Form der Flexibilisierung, die wir beobachten, ist die zunehmende Zahl unsicherer Arbeitsverhältnisse wie Arbeit auf Abruf oder befristete Verträge. Dies betrifft viele Branchen wie das Handwerk, den Bau, den Verkauf oder die Reinigung. Für die Arbeitnehmenden bedeuten solche Anstellungen finanzielle Unsicherheit und Stress, da sie nicht langfristig planen können. Arbeitgebende hingegen können auf diese Weise den maximalen Profit aus den Beschäftigten ziehen, indem sie einen beträchtlichen Teil des unternehmerischen Risikos auf sie abwälzen. 

Arbeitnehmende sollen also immer dann arbeiten, wenn die Arbeitsbelastung besonders hoch ist?

Genau, das ist ein direkter Effekt der zunehmenden Flexibilisierung. Doch auch unabhängig davon ist die Arbeitsintensität in den meisten Branchen gestiegen: es muss immer mehr in immer kürzerer Zeit geleistet werden. Unsere jährliche Umfrage «Barometer Gute Arbeit» zeigt, dass Stress und Erschöpfung zunehmen. Die Beschleunigung der Arbeit und die immer härtere Konkurrenz haben ein Niveau erreicht, das für viele Arbeitnehmende nicht mehr tragbar ist.

Die wachsende Zahl an Teilzeitarbeitenden könnte darauf hindeuten, dass die Arbeitsbelastung für viele zu gross wird. Ist dies eine direkte Reaktion auf den zunehmenden Arbeitsdruck?

Der Anstieg an Teilzeitbeschäftigten lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass heutzutage, in 80% der Familien, beide Eltern arbeiten. Früher war es üblich, dass der Vater Vollzeit arbeitete, während die Mutter sich um den Haushalt und die Kinder kümmerte. Da nur der erwerbstätige Elternteil in der Beschäftigungsstatistik erscheint, ergab sich eine durchschnittliche Beschäftigungsquote von 100%. Wenn nun der andere Elternteil ebenfalls arbeitet, aber beispielsweise zu 20 %, werden beide in der Statistik berücksichtigt und die durchschnittliche Beschäftigungsquote sinkt auf 60 % (100+20=120, 120/2=60), obwohl das Paar in Wirklichkeit mehr arbeitet. Teilzeitarbeit hat zugenommen, doch die Behauptung, die manchmal im Raum steht, dass diese Zunahme der Teilzeitarbeit auf Faulheit der Arbeitnehmenden hindeutet, ist besonders bei arbeitenden Familien völlig falsch. 

Wer profitiert von dieser Zunahme an Teilzeitarbeit?

​Teilzeitarbeit ist ein zweischneidiges Schwert. Wird sie richtig eingesetzt, können sowohl Arbeitnehmende als auch Arbeitgebende davon profitieren: Arbeitnehmende können Arbeit und Privatleben besser in Einklang bringen, während Arbeitgebende ihren Personaleinsatz flexibler gestalten können. Es darf jedoch nicht dazu führen, dass Teilzeitarbeit nur den Interessen der Arbeitgebenden dient und zulasten der Mitarbeitenden geht.

Was wir beobachten, ist, dass Teilzeitarbeit den Arbeitgebenden eine zusätzliche Form der Flexibilisierung bietet. Mitarbeitende in Teilzeit können oft einfacher und flexibler eingesetzt werden, da sie in der Regel die gesetzlich festgelegte Höchstarbeitszeit nicht überschreiten. Wenn sie mehr Stunden arbeiten als ursprünglich vereinbart, gelten diese als Überstunden und nicht als Überzeit, wodurch Zuschläge entfallen. Eine mögliche Lösung könnte darin bestehen, die Höchstarbeitszeit an das Arbeitspensum zu koppeln. Doch unabhängig davon brauchen wir zusätzliche Ansätze. Teilzeitarbeit ist für viele Arbeitnehmende, insbesondere in Niedriglohnbranchen, schon allein aus finanziellen Gründen keine realistische Option.

Immer wieder wurde die Vier-Tage-Woche als mögliche Losung diskutiert. Konnte dieses Modell tatsachlich eine Antwort auf die Herausforderungen der modernen Arbeitswelt sein?

Die Vier-Tage-Woche wird oft als attraktive Alternative angepriesen, doch sie bringt zahlreiche Herausforderungen mit sich. Wenn die gleiche Anzahl an Arbeitsstunden auf vier Tage verteilt wird – also beispielsweise zehn Stunden pro Tag statt acht, kann das für junge und gesunde Mitarbeitende vielleicht noch funktionieren. Doch für viele ist dieses Modell körperlich und mental zu belastend, besonders im Alter oder in Berufen, die körperliche Arbeit erfordern. Zudem führt es zu Problemen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Was vielleicht im ersten Moment attraktiv aussieht wegen des zusätzlichen freien Tags, führt in der Praxis dazu, dass Arbeitnehmende noch erschöpfter sind und häufiger krank werden. Diese Erfahrung haben wir in verschiedenen Branchen gemacht. 

Welche Ansätze konnten die Arbeitsbedingungen tatsachlich verbessern?

Viel sinnvoller wäre eine generelle Reduzierung der Arbeitszeit. Die Schweiz hat mit 45 oder je nach Branche sogar 50 Stunden pro Woche eine der höchsten gesetzlichen Arbeitszeiten in Europa. Eine Reduktion der effektiven Arbeitszeit auf 38 Stunden wäre ein realistischer Schritt. Alternativ könnten auch zusätzliche Urlaubstage eingeführt werden. Beides würde dazu beitragen, dass sich Arbeitnehmende besser erholen und Arbeit und Privatleben besser vereinbart werden können.

Total würde also weniger gearbeitet werden – gefährdet das nicht die Wirtschaft und den Wohlstand?

Das kommt ganz auf die Umsetzung an. Es ist klar, dass nur Arbeit Wohlstand schafft. Die entscheidende Frage ist somit, ob eine Arbeitszeitreduktion die effektiv geleistete Arbeit der Arbeitnehmenden reduziert. Ich gehe nicht davon aus, dass dies grundsätzlich der Fall ist. Kürzere Arbeitszeiten führen zu einer besseren Gesundheit der Arbeitnehmenden, einer höheren Produktivität und einer besseren Verteilung der bezahlten Arbeit zwischen Frauen und Männern.

Wir haben beispielsweise eine starke Zunahme von krankheitsbedingten Fehlzeiten, die häufig durch Überlastung verursacht werden. Wenn die Menschen weniger arbeiten und dadurch gesünder bleiben, profitieren nicht nur sie selbst, sondern auch die Unternehmen. Langfristig würde das auch unser Gesundheitssystem entlasten.

Das klingt, als hatten auch die Arbeitgebenden ein Interesse an gesunderen Arbeitszeiten. Warum passiert diesbezüglich nichts?

Theoretisch ja, aber leider ist es in der Praxis oft anders. Viele Unternehmen denken kurzfristig und sehen nur die unmittelbaren Kosten für ihren Betrieb, die durch eine Reduzierung der Arbeitszeit entstehen könnten. Sie übersehen dabei, dass langfristige Ausfälle durch Überlastung gesamtgesellschaftlich und oft auch für die Unternehmen selbst deutlich teurer sind.

Ausserdem besteht oft die Angst vor Wettbewerbsnachteilen, wenn sie freiwillig bessere Arbeitsbedingungen bieten und damit zumindest kurzfristig teurer werden, während andere das nicht tun. Deshalb braucht es gleiche Regeln für alle in Gesamtarbeitsverträgen oder im Gesetz – damit gesündere Arbeitszeiten für alle gelten und nicht vom Wohlwollen einzelner Arbeitgebenden abhängen. Dafür setzen wir uns in unserer Gewerkschaftsarbeit ein, damit die Arbeitsbedingungen der Zukunft für alle gesund und fair sind und vor allem auch noch ein Leben neben der Arbeit ermöglichen.

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