Von Syna auf 11.5.2018
Kategorie: Branchen

Gerüstbau: «Wenn du nicht mehr magst, kannst du ja gehen»

Gerüstbauer X.Y. spricht im Interview über seinen Werdegang und seine Arbeit, über die Sicherheit auf dem Gerüst und über die Aussichten in der Branche. Er will anonym bleiben, wenn er über die Arbeitsbedingungen im Gerüstbau spricht. Der Druck sei gross, und man wisse nie, wie der Chef reagiert...

X.Y ist 51 und Syna-Mitglied. Er arbeitet ohne Berufsausbildung als Vorarbeiter in einer kleinen Gerüstbaufirma.

Wie bist du auf diesen Beruf gekommen?
Ich bin nicht ganz freiwillig im Gerüstbau. Ich arbeitete in einer Fabrik. Dann gab es Umstellungen im Betrieb, und ich hätte in eine ganz andere Region arbeiten gehen sollen. Das war mir zu weit. Aber mit 45 Jahren musste ich etwas arbeiten. Und den Sozialstaat zu belasten, kam für mich nicht in Frage. Es war eine Krisenzeit, und ohne Diplom muss man nehmen was man findet.

Was gefällt dir am Beruf?
Die Leute auf der Baustelle sind ja sehr verschieden, aber wir sind alle solidarisch. Die Arbeit ist sehr hart und ein Knochenjob, aber wir helfen einander, wo wir können. Ich arbeite gerne draussen an der frischen Luft. Ein Büro wäre nichts für mich.

Die Leute auf der Baustelle sind ja sehr verschieden, aber wir sind alle solidarisch. Die Arbeit ist sehr hart und ein Knochenjob, aber wir helfen einander, wo wir können.

X.Y., Gerüstbauer

Wie sieht dein Arbeitstag in der Regel aus?
Am Morgen stehe ich um 5 Uhr auf, um dann um ca. 6.30 Uhr auf dem Werkhof zu sein. Dort fassen wir die Aufträge für den Tag oder für die ganze Woche. Um 9 Uhr machen wir 15 Minuten Pause und um 12 Uhr ein Stunde. Die Pausen brauchen wir schon, um die Batterien aufzuladen.

Was machst du am Feierabend?
Am Abend hören wir zwischen 17 und 18 Uhr auf. In meinem Alter bin ich abends meistens zusammengestaucht, ich gehe keinem sportlichen Hobby mehr nach. Auch die Jungen machen normalerweis keinen Sport mehr, denn das tonnenweise Gerüstmaterial ist Fitness genug, meistens bist du nach der Arbeit einfach schlapp...

Was macht eure Arbeit so anstrengend?
Am Nachmittag merkst du wie die Kraft nachlässt, ob Jung oder Alt…Aber Junge erholen sich schneller…ich brauch dann schon mein ganzes Wochenende! In meinem Alter sind vor allem die kalten Tage ab 0 Grad schwierig. Zum Glück bekommen wir gute Kleider und Handschuhe…nicht alle habe eine gute Ausrüstung. Am schlimmsten ist aber der Stress….immer solltest du schon fertig sein, bevor du angefangen hast! Hetze ist nicht gut, denn man wird unvorsichtig und es gibt Unfälle. Ich hatte bist jetzt Glück, aber ich habe schon schreckliches gesehen – vor allem Verletzungen der Finger.

Am schlimmsten ist aber der Stress….immer solltest du schon fertig sein, bevor du angefangen hast! Hetze ist nicht gut, denn man wird unvorsichtig und es gibt Unfälle.

X.Y., Gerüstbauer

Wie sieht es mit der Gesundheit aus?
Junge habe oft noch keine gesundheitlichen Probleme. Als erstes spürst du die Achseln, die Ellenbogen und die Handgelenke. Je älter ich werde, umso länger brauche ich um warm zu werden, auf Betriebstemperatur zukommen. Und abends im Bett spürt man schon mal Ameisen in den Muskeln und knacksende Gelenke…

Was spielt das Wetter für eine Rolle?
Wie gesagt, schwierig ist die Kälte: An kalten Morgen sind die meisten nicht motiviert…man trinkt dann zwei Kaffees, um warm zu werden, der Rest ist dann Einstellungssache und Wille. Arbeiten unter null und mit Bise ist eine Herausforderung, die Unfallgefahr steigt dann an. Gefährlich ist vor allem das Ausrutschen – weil man unachtsam ist oder einfach mal nicht bei der Sache. Bei grosser Hitze kann man halt zusammenklappen. Aber das trifft vor allem die Jungen, die sich hetzen lassen! Die machen schon leichtsinnige Sachen und gehorchen aufs Wort!

Wie geht ihr beim Gerüstbaugewerbe mit Lasten um?
Die Regeln sind klar: Immer Hilfsmittel und Kran nehmen… Manchmal ist das aber auch zu kompliziert, und man macht es doch selbst. Und manchmal musst du auch selbst anpacken, weil es einfach grad keine Hilfsmittel gibt.

Welches sind für dich die grössten Gefahren?
Das Vorgerüsten ist das gefährlichste, da kann man sich nicht immer anbinden. Da musst du den Kopf beisammen haben und bei der Sache sein. Da sind auch schon Leute vom Gerüst gefallen.

Zusammenfassend, was sind für dich die grössten Herausforderungen bei der Arbeit?
Das älter werden, und dass ich mit dem zunehmenden Tempo noch mithalten kann.

Wo siehst du dich in 10 Jahren, immer noch auf dem Gerüst?
In fünf Jahren ist Feierabend, dann höre ich auf. Ich will meinen Körper nicht ganz kaputt machen. Solange ich gesund bin, mache ich weiter, das ist klar. Aber es soll nicht so sein, dass ich dann einfach eines Morgens nicht mehr aufstehen kann… Mit 60 ist sicher Schluss – ausser die Gerüste werden leichter und man gerüstet mit Drohnen. In China gibt es solche Projekte, habe ich gehört…

Wo wünschst du dir Veränderungen?
Ich wünsche mir weniger Stress. Immer ist man unter Druck, heisst es «hopp, hopp!». So kann man einfach nicht sicher arbeiten. Es wäre auch schön, wenn wir mehr in Vierergruppen arbeite könnten. Oft sind wir zu zweit am Gerüsten – und wenn dann einer keinen guten Tag hat, wird es schwierig für den anderen…
Persönlich würde ich gerne 80 Prozent arbeiten, aber mit meinem Lohn kann ich mir das nicht leisten, und der Chef hält auch nicht viel davon. Deshalb wäre es schon wichtig, dass unser Job, diese harte Arbeit besser bezahlt wird – oder dass wir mehr Ferien hätten.

Persönlich würde ich gerne 80 Prozent arbeiten, aber mit meinem Lohn kann ich mir das nicht leisten, und der Chef hält auch nicht viel davon.

X.Y., Gerüstbauer

Gibt es im Gerüstbau neue Systeme oder Techniken, die von Vorteil sind?
Die Aluminium-Gerüstelemente sind schon leichter, aber sie können nicht über eingesetzt werden. Deshalb arbeiten wir vorwiegend mit Stahl. Netze bringen natürlich mehr Sicherheit, sie sind aber nicht immer geeignet. Bambusgerüst wären schon ganz cool – aber wohl nicht bei uns in der Schweiz…

Gibt es in der Weiterbildungsmöglichkeiten oder Umschulungsmöglichkeiten für diejenigen, die der schweren körperlichen Arbeit nicht mehr gewachsen sind?
Eher nicht. Es kann schon vorkommen dass der Chef dich als Fahrer oder im Werkhof einsetzt, aber in der Regel ist man am Gerüsten.
Es ist schon so, ab 50 wird man sowieso nicht mehr eingestellt. Und von Umschulungsmöglichkeiten weiss ich wenig. Die Jungen machen schon Weiterbildungen. Aber an uns Ältere denkt niemand. «Wenn du nicht mehr magst, kannst du ja gehen», so die – inoffizielle – Haltung…

Wie wird sich aus deiner Sicht die Gerüstbaubranche entwickeln?
Seit paar Jahren stelle ich fest, dass immer mehr Temporäre eingestellt werden, vor allem Deutsche oder Italiener, ein Kommen und Gehen. Die meisten Gerüstbauer hier sind keinen Diplomierte Schweizer Gerüstbauer. Diese gehen meist früh als Projektleiter ins Büro oder als Laufpolier weiter, oder sie wechseln sonst den Job. Es ist ein Kommen und Gehen – und es bleiben die Ungelernten, die Temporären, die Jungen und die Quereinsteiger!

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