Von Syna auf 15.7.2020
Kategorie: Gewerkschaft

«Kein Tag ist wie der andere»

Seit 10 Jahren setzt sich Guido Schluep als Zentralsekretär bei Syna für bessere Arbeitsbedingungen und mehr Sicherheit auf dem Bau ein. Im Interview erklärt der überzeugte Gewerkschafter, welchen Herausforderungen er täglich begegnet und weshalb Gewerkschaften so wichtig sind.

Was macht eigentlich ein Zentralsekretär? 

Guido Schluep (überlegt): Schwierig, das in ein paar wenigen Worten zu beschreiben … Ich sorge dafür, dass Angestellte anständige Arbeitsbedingungen haben, einen anständigen Lohn und einen sicheren Arbeitsplatz. Aber da fangen die Probleme mit vielen Arbeitgebern schon an: Sie sind der Meinung, dass eine Erhöhung der Löhne Arbeitsplätze gefährde. Das stimmt natürlich nicht, aber einige sehen es so.
Vor allem jetzt in der Coronakrise jammern viele Arbeitgeber, weil die Umsätze eingebrochen sind. Dies ganz im Sinne von «Lass keine Krise ungenutzt». Aber es gibt pragmatische Lösungsansätze, und die Politik kommt ihnen mit Krediten und Hilfsprogrammen entgegen. Doch selbst das wird anscheinend ausgenutzt, und der Missbrauch der unbürokratisch angebotenen Kurzarbeitsentschädigung ist anscheinend viel höher als erwartet. Das aufzudecken und Missbrauch zu bekämpfen, ist übrigens auch eine ganz wichtige Arbeit der Gewerkschaften.

Was ist deine Haupttätigkeit? 

In Sitzungen sitzen (lacht). Dort wird vieles entschieden, das direkten oder indirekten Einfluss auf die Arbeitsbedingungen von 80 000 Bauarbeitern hat. Teilweise sind es wirklich Kleinigkeiten, über die stundenlang verhandelt wird. Einiges wird dabei immer wieder herausgeschoben, bis es Neuverhandlungen des Landesmantelvertrags – also des nationalen Gesamtarbeitsvertrags (GAV) für das Bauhauptgewerbe – gibt. Dann muss es verhandelt werden: Wenn man sich dort nicht einigt, riskiert man einen vertragslosen Zustand. Das wollen auch die Arbeitgebenden nicht.
Schlussendlich ist es das, was die Schweizer Wirtschaft gross gemacht hat: dass die Sozialpartner, also Vertretende der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberschaft, sich immer geeinigt haben. Die Sozialpartnerschaft hat hier in der Schweiz eine lange Tradition. Aber leider wissen das heute viele nicht mehr, vor allem Junge sehen diese Errungenschaften oft als selbstverständlich an. Und werden sich dessen erst bewusst, wenn eben kein GAV da ist und sie plötzlich nur 4 Wochen Ferien haben, oder weniger Lohn. Das finde ich schade. Und manchmal ärgert es mich auch.

Wie weisst du, was die Mitglieder von dir erwarten? 

Ich habe selbst auf dem Bau gearbeitet und bin Syna-Mitglied seit 36 Jahren. Ich war auch lange in der Privatwirtschaft tätig. Deshalb kann ich mir ein gutes Bild von der Branche machen und auch davon, was die Mitglieder wollen und brauchen. Aber natürlich auch durch den Miteinbezug und die direkte Befragung der Mitglieder.
Im Endeffekt vertrete ich in erster Linie die Interessen unserer Mitglieder sowie der Arbeitnehmenden. Ich versuche aber auch die Anliegen der Arbeitgeber aufzunehmen und wenn möglich zu berücksichtigen. Ohne Arbeitgebende keine Arbeit. Aber ohne Arbeitnehmende auch keine Arbeitgeber. Das sagt schon alles über die grosse Abhängigkeit.

Was ist deine Motivation? 

Die grosse Verantwortung, die ich trage. Dass ich sehr selbständig arbeiten kann. Und dass kein Tag ist wie der andere, es sind immer neue Problemstellungen. Ich lerne jeden Tag Neues dazu – auch nach 10 Jahren.

Wie läuft eine GAV-Verhandlung ab? 

Vorab muss man sich auf die Verhandlung vorbereiten und sich einlesen. Dann gibt es eine Vorbesprechung mit den anderen Gewerkschaften, um später in den Verhandlungen möglichst dieselbe Position zu vertreten. Man muss nicht immer ganz dieselbe Meinung haben. Aber ich versuche jeweils, möglichst einen Konsens zu schaffen. Denn es gibt für die Arbeitgeber nichts Besseres als zerstrittene Gewerkschaften am Verhandlungstisch …

Und die Sitzung selbst? 

Ich muss vielleicht vorab sagen, ich bin in sehr vielen Kommissionen und Arbeitsgruppen. Die Dokumente für eine Sitzung umfassen teilweise bis zu 300 Seiten! Da ist viel Lesen angesagt. In den Sitzungen selber läuft es überall sehr konstruktiv ab. Aber es gibt auch Ausnahmen: bei Verhandlungen zur Erneuerung eines GAV zum Beispiel. Dort wird der Ton schon manchmal etwas rauer. Doch man bleibt immer oberhalb der Gürtellinie. Das ist natürlich nicht immer so: Ich habe auch schon Anschuldigungen und persönliche Angriffe, die unter die Gürtellinie zielten, erlebt. Aber eigentlich ist es schon witzig: Vom Bau wird ein rauer Ton erwartet, dabei läuft grundsätzlich immer alles sehr konstruktiv und anständig ab.

Gibt es einen bestimmten Moment, an den du besonders gerne zurückdenkst?

Als ich meine Unterschrift unter den Landesmantelvertrag 2019–22 setzen konnte. Es war ein langer und harter Verhandlungsmarathon, mit Arbeitskampf auf der Strasse, einer grossen Mobilisierung – eben alles, was die Gewerkschaftsarbeit so ausmacht. Es war sprichwörtlich 5 vor 12, als ich den Vertrag endlich unterschreiben konnte. Nach über 20 Verhandlungsrunden dann deinen eigenen Namen in so einem Vertrag zu sehen – das ist ein gutes Gefühl!

Gab es auch besonders komische oder skurrile Situationen?

Als ich eine neue Branche übernahm, versuchten die Arbeitgeber umgehend, einen Keil zwischen mich und eine andere beteiligte Gewerkschaft zu treiben, indem sie an mein Ego und meinen Stolz appellierten. Ich hätte jetzt die Möglichkeit, Syna eine eigene Identität zu geben, sagten sie. Ich antwortete, dass wir Gewerkschaften sehr wohl schon seit jeher eine eigene Identität besitzen, und auch wenn wir mal untereinander Differenzen hätten, ich diese nie vor den Arbeitgebenden austragen würde. Sie könnten davon ausgehen, dass wir ihnen gegenüber immer eine abgestimmte und «einheitliche» Meinung vertreten. Von diesem Moment an konnte ich in Ruhe meine Arbeit aufnehmen, ohne weitere Störmanöver der Arbeitgeber.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Gewerkschaft? 

Dass die Arbeitnehmenden den Nutzen der Gewerkschaften mehr erkennen. Dass sie sehen, dass viel Arbeit hinter all dem steckt, was sie heute als selbstverständlich betrachten. Die Arbeitslosenkasse, die Krankenkasse, die AHV, der Mutterschaftsurlaub und sogar die Ferien – das waren keine Geschenke der Arbeitgeberschaft. Die Gewerkschaften haben das hart erkämpft. Ich wünsche mir, dass die Menschen wieder erkennen, dass Gewerkschaften wichtig sind, vielleicht sogar selbst beitreten und sich aktiv dafür einsetzen, um die Arbeitsbedingungen in unserem Land zu verteidigen. Und nicht erst wenn es zu spät ist, sie ohne GAV dastehen und plötzlich nur noch 4 Wochen Ferien haben, oder einen tieferen Lohn.

«Ich habe selbst auf dem Bau gearbeitet und bin Syna-Mitglied seit 36 Jahren.»

Guido Schluep

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