Zur Weltfrauenkonferenz von IndustriALL in Genf hatte die Föderation aller Industriegewerkschaften 200 Gewerkschafterinnen aus der ganzen Welt eingeladen. Dabei tauschten sich die Teilnehmerinnen auch darüber aus, mit welchen Strategien die Gleichstellung der Geschlechter in der Arbeitswelt erreicht werden kann.
Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz stellen für Gewerkschaften ein grosses Problem dar, weil sie Rechte, Sicherheit, Gesundheit und Würde der Arbeitnehmenden betreffen. Dibeth Quintana, ein Gewerkschaftsmitglied aus Kolumbien, musste selber sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz erleiden. An der Konferenz liess sie uns an ihrem Kampf teilhaben: «Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es möglich ist, einem Angreifer ins Gesicht zu sehen und zu erkennen, dass er nicht besser ist als ich, sondern dass er weniger ist als ich.»
Internationale Gesetze fehlen
Auf internationaler Ebene gibt es noch kein Gesetz, das Massnahmen zur Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt festlegt. Aus diesem Grund hat die internationale Arbeiterorganisation (IAO) 2019 das umfassende Übereinkommen 190 verabschiedet. «Die Konvention 190 ist das Ergebnis unserer Schwesternschaft», sagt Maria Tsirantonaki vom Internationalen Gewerkschaftsbund. «Es ist ein wichtiges Instrument zu Prävention, Bekämpfung und Abhilfe bei sexueller Belästigung und stellt somit einen Schritt in Richtung Geschlechtergleichstellung bei der Arbeit dar.»
Verantwortung der Gewerkschaften
Als zentrale Akteurin im Arbeitsmarkt spielen die Gewerkschaften eine grosse Rolle bei der Verhütung und Verhinderung von Gewalt an Frauen am Arbeitsplatz. So waren sich die Teilnehmerinnen auch einig, alles zu tun, damit dieses Übereinkommen von ihren Staaten ratifiziert – und in die Verhandlungen mit den Arbeitgebenden einfliessen wird. «Es gibt viele Arbeiterinnen, die belästigt werden. Wir müssen als Gewerkschaftsbewegung sicherstellen, dass die IAO-190-Konvention über Gewalt und Belästigung in Gesamtarbeitsverträge aufgenommen wird», sagte die Südafrikanerin Bonita Loubser.
Auch für Syna ist es ganz klar, dass wir uns für die Ratifizierung des Übereinkommens seitens der Schweiz einsetzen werden.
Verschiedene Gesetze und Bestimmungen schützen Arbeitnehmende vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz: Das Gleichstellungsgesetz, das Arbeitsgesetz, das Obligationenrecht sowie zahlreiche Gesamtarbeitsverträge und Personalrechtsbestimmungen in Unternehmen.
Seit 2018 gilt auch in der Schweiz die Istanbul-Konvention – ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt. Diese Übereinkommen war wichtig: Denn auch wenn in der Schweiz die gesetzliche Grundlagen gegeben sind, sind Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt auch in der Schweiz weit verbreitet. Und die Tendenz ist steigend. So gab es im Jahr 2018 es insgesamt 18 522 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt. Beim Übereinkommen handelt es sich um ein Paket von rechtlichen Grundlagen für Massnahmen wie unter anderem Informations- und Sensibilisierungskampagnen sowie Bildungsmassnahmen und Präventionsprojekte für gewaltbetroffene oder für Gewalt ausübende Personen.