Knapp ein Monat ist vergangen: Das Bundesgericht will die geltende Rechtspraxis nicht ändern. Mit dem Entscheid von Anfang März haben Geringverdiener mit stark reduzierter Leistungsfähigkeit weiter schlechte Chancen auf eine IV-Rente. Leander Zemp, Rechtsanwalt und juristischer Mitarbeiter von Syna, ordnet ein.
Weiterzug an den europäischen Gerichtshof für Menschreche
Letzte Woche ist das Bundesgericht leider zum Schluss gelangt, dass zur Bestimmung des Invalideneinkommens weiterhin die Tabellenlöhne der schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) beigezogen werden dürfen. Dies trotz der Tatsache, dass zwei aktuelle Gutachten zu Tage brachten, dass die LSE-Löhne von Gesunden erzielt werden und eine Anwendung auf behinderte Versicherte daher realitätsfremd sei. Von den fünf Richterinnen und Richtern hatten lediglich zwei Richter (beide SP) Verständnis für das Anliegen des Versicherten.
Skandalös: Die grossmehrheitlich ausländischen Staatsangehörigen müssen jahrelang in die Versicherungswerke einbezahlen, werden im Schadensfall aber von einem Leistungsbezug praktisch ausgeschlossen.
Leander Zemp
Rechtsanwalt Christian Haag wird nun in Erwägung ziehen, das Urteil an den europäischen Gerichtshof für Menschreche weiterzuziehen. Die Ignoranz des Bundesgerichts vor der Realität stösst Syna Luzern sauer auf. Viele von uns betreute Mitglieder können nach einem Unfall oder aufgrund von langjähriger körperlich schwerer Tätigkeit nicht mehr auf dem angestammten Beruf tätig sein. Ihnen wird von der IV regelmässig vorgehalten, dass sie in einer leidensadaptierten Tätigkeit noch rund CHF 4'500.- verdienen könnten. Unsere langjährigen und umfassenden Erfahrungen zeigen aber, dass ca. 9 von 10 beeinträchtigten Mitgliedern überhaupt gar keine Anstellung mehr finden im ersten Arbeitsmarkt.
Es ist ein Hohn für sie und ein veritabler Skandal für den schweizerischen Rechtsstaat, dass die grossmehrheitlich ausländischen Staatsangehörigen jahrelang in die Versicherungswerke einbezahlen müssen, aber dann im Schadensfall von einem Leistungsbezug praktisch ausgeschlossen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Thematik auf der politischen Agenda bleibt und dank der aktuellen Medienaufmerksamkeit eine Anpassung erreicht werden kann. Syna wird sich auch weiterhin für die Rechte der Arbeitnehmenden und Versicherten einsetzen.