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Bundesgericht stützt die umstrittene IV-Praxis

Recht /

Knapp ein Monat ist vergangen: Das Bundesgericht will die geltende Rechtspraxis nicht ändern. Mit dem Entscheid von Anfang März haben Geringverdiener mit stark reduzierter Leistungsfähigkeit weiter schlechte Chancen auf eine IV-Rente. Leander Zemp, Rechtsanwalt und juristischer Mitarbeiter von Syna, ordnet ein.

Die IV vergleicht den Lohn, den eine Person vor einem Unfall oder Krankheit verdienen konnte, mit dem Lohn danach. Daraus ergibt sich der IV-Grad. Je höher dieser IV-Grad ist, desto besser sind die Chancen auf eine berufliche Umschulung (ab 20 Prozent IV-Grad) oder auf eine Rente (ab 40 Prozent IV-Grad).

Weil die beigezogenen Statistik-Löhne unrealistisch hoch sind, sinken für die gesundheitlich angeschlagenen Versicherten die Chancen auf IV-Leistungen. In den Medien wurde in letzter Zeit wiederholt über diese Thematik berichtet, da ein 57-jähriger Mann gegen einen Rentenentscheid beim Bundesgericht Beschwerde erhoben und bei seinem Gang vor Gericht grosse Unterstützung von prominenten Sozialversicherungsrechtsprofessoren, Behindertenorganisationen, Versichertenverbänden und Gewerkschaften erhalten hat.
Mit Hilfe seines Rechtsanwalts Christian Haag, der auch als Vertrauensanwalt von Syna tätig ist, kämpft er für eine halbe Rente statt einer Viertelsrente. Vereinfacht gesagt hatte er gefordert, das hypothetisch festgelegte Einkommen an die Arbeitsmarktrealitäten anzupassen. Die Rechtsprechung sei hier diskriminierend.

Weiterzug an den europäischen Gerichtshof für Menschreche

Letzte Woche ist das Bundesgericht leider zum Schluss gelangt, dass zur Bestimmung des Invalideneinkommens weiterhin die Tabellenlöhne der schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) beigezogen werden dürfen. Dies trotz der Tatsache, dass zwei aktuelle Gutachten zu Tage brachten, dass die LSE-Löhne von Gesunden erzielt werden und eine Anwendung auf behinderte Versicherte daher realitätsfremd sei. Von den fünf Richterinnen und Richtern hatten lediglich zwei Richter (beide SP) Verständnis für das Anliegen des Versicherten. 

Skandalös: Die grossmehrheitlich ausländischen Staatsangehörigen müssen jahrelang in die Versicherungswerke einbezahlen, werden im Schadensfall aber von einem Leistungsbezug praktisch ausgeschlossen.

Leander Zemp

Rechtsanwalt Christian Haag wird nun in Erwägung ziehen, das Urteil an den europäischen Gerichtshof für Menschreche weiterzuziehen. Die Ignoranz des Bundesgerichts vor der Realität stösst Syna Luzern sauer auf. Viele von uns betreute Mitglieder können nach einem Unfall oder aufgrund von langjähriger körperlich schwerer Tätigkeit nicht mehr auf dem angestammten Beruf tätig sein. Ihnen wird von der IV regelmässig vorgehalten, dass sie in einer leidensadaptierten Tätigkeit noch rund CHF 4'500.- verdienen könnten. Unsere langjährigen und umfassenden Erfahrungen zeigen aber, dass ca. 9 von 10 beeinträchtigten Mitgliedern überhaupt gar keine Anstellung mehr finden im ersten Arbeitsmarkt.

Es ist ein Hohn für sie und ein veritabler Skandal für den schweizerischen Rechtsstaat, dass die grossmehrheitlich ausländischen Staatsangehörigen jahrelang in die Versicherungswerke einbezahlen müssen, aber dann im Schadensfall von einem Leistungsbezug praktisch ausgeschlossen werden. Es bleibt zu hoffen, dass die Thematik auf der politischen Agenda bleibt und dank der aktuellen Medienaufmerksamkeit eine Anpassung erreicht werden kann. Syna wird sich auch weiterhin für die Rechte der Arbeitnehmenden und Versicherten einsetzen.

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