Der Sonntag darf kein Werktag werden!
Der Sonntag ist in der Schweiz grundsätzlich ein Ruhetag – und für die meisten Arbeitnehmenden ein wertvoller Ausgleich, der Erholung und Zeit mit der Familie ermöglicht. Doch dieser Ruhetag gerät immer mehr unter Druck – eine besorgniserregende Entwicklung!
Für 85 Prozent der Arbeitnehmenden in der Schweiz ist der Sonntag in der Regel arbeitsfrei – eine Tradition, die bis ins Jahr 321 n. Chr. zurückreicht, als Kaiser Konstantin den Sonntag zum Ruhetag erklärte. Sonntagsarbeit ist normalerweise auf systemrelevante Berufe wie das Gesundheitswesen oder die Polizei beschränkt. Doch dieser arbeitsfreie Tag steht zunehmend unter Druck, insbesondere im Detailhandel.
Derzeit wird in Bern über zwei Vorschläge diskutiert. Bundesrat Guy Parmelin möchte mit einer Verordnungsänderung Städten mit mehr als 60 000 Einwohnern und vielen ausländischen Übernachtungsgästen ermöglichen, sogenannte Tourismuszonen zu schaffen. In diesen Zonen sollen bestimmte Geschäfte ganzjährig an Sonn- und Feiertagen öffnen dürfen. Generell mehr Sonntagsverkäufe, ohne Zonen und Bedingungen, fordert der Kanton Zürich. Mittels Standesinitiative verlangt er, die Zahl der Sonntagsverkäufe von derzeit vier auf zwölf pro Jahr zu erhöhen. Diese wird aktuell im Parlament beraten.
Immer weitere Lockerungen
Bereits in den letzten 20 Jahren wurden die Ladenöffnungszeiten deutlich ausgeweitet. Cornelia Bickert, Branchenleiterin des Detailhandels bei Syna, kennt die Entwicklungen: «Viele Kantone haben die Ladenöffnungszeiten unter der Woche verlängert.» Die langen Öffnungszeiten können jedoch nicht von einer üblichen Arbeitsschicht abgedeckt werden. Stattdessen werden die Einsätze auf Stosszeiten verteilt, unterbrochen von langen unbezahlten Pausen. «Dass Arbeitstage auf bis zu 12 Stunden ausgedehnt werden, ist leider keine Ausnahme», erklärt Cornelia Bickert. «Zeit für Erholung und Freizeit bleibt da kaum. Zudem erschweren die langen Arbeitstage die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, da die Ladenöffnungszeiten oft über die Betreuungszeiten von Kitas hinausgehen.»
Auch der Sonntagsverkauf wurde bereits stark liberalisiert: Dieser wurde in Fremdenverkehrsgebieten, Einkaufszentren, Tankstellen und Bahnhöfen deutlich ausgeweitet. Für Bickert steht fest: «Eine weitere Ausweitung der Ladenöffnungszeiten ist nicht nötig. Der Sonntag ist für viele Angestellte oft der einzige Tag, an dem sie Zeit für Erholung, Familie und Freunde haben». Sie hebt eine Besonderheit im Detailhandel hervor: «Hier ist auch der Samstag ein regulärer Arbeitstag. Der arbeitsfreie Sonntag hat deshalb eine noch grössere Bedeutung.»
Ökonomisch fragwürdig
Befürworter/-innen zusätzlicher Sonntagsverkäufe argumentieren, dass diese dem stationären Handel helfen, der Konkurrenz aus dem Online-Bereich standzuhalten, und damit auch Arbeitsplätze zu sichern. Studien zeigen jedoch, dass die Umsätze im Detailhandel weniger von den Öffnungszeiten, sondern hauptsächlich von anderen Faktoren beeinflusst werden:
- der Beschäftigung: je höher die Beschäftigung und je tiefer die Arbeitslosigkeit, desto höher die Einkommen und entsprechend auch der Konsum.
- den Löhnen: Je höher die Löhne, desto mehr können die Arbeitnehmenden für Konsum ausgeben.
- der Einkommensverteilung: Menschen mit niedrigem und mittlerem Einkommen geben einen höheren Anteil ihres Einkommens für Konsumgüter aus. Folglich ist eine ausgeglichenere Einkommensverteilung für den Konsum grundsätzlich vorteilhaft.
Die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten bringt keinen höheren Konsum, sondern verlagert ihn nur – die Einkäufe erfolgen statt am Samstag einfach am Sonntag.
Längere Ladenöffnungszeiten können langfristig gar zu tieferen Löhnen im Detailhandel führen. Der höhere Personaleinsatz aufgrund der längeren Öffnungszeiten bei gleichbleibenden Umsätzen senkt die Produktivität, was oft geringere Löhne bedeutet. «Dieses Bild zeigt sich im Detailhandel in den USA und Grossbritannien, wo längere Öffnungszeiten zwar mehr Jobs, aber auch vergleichsweise niedrige Löhne zur Folge haben», erklärt Bickert.
Scheinbar kleine Liberalisierung – grosse Folgen
Die beiden Vorschläge scheinen nur kleine Schritte zu sein – die Sonntagsverkäufe wären auf zwölf pro Jahr begrenzt und die Tourismuszonen betreffen nur wenige Städte und Geschäfte. Doch schon kleine Liberalisierungen haben weitreichendere Folgen als auf den ersten Blick gesehen. So ist es nicht nur das Verkaufspersonal, das an diesen Sonntagen arbeiten muss. Die Geschäfte müssen beliefert und nach Ladenschluss gereinigt werden. Die Kundinnen und Kunden müssen irgendwie zu den Geschäften kommen, was zusätzlichen Bedarf an Personal für den öffentlichen Verkehr oder der Polizei mit sich bringt. Für Familien, deren Eltern nun auch am Sonntag arbeiten, entsteht ein erhöhter Bedarf an Betreuungsangeboten – ein ganzer Rattenschwanz an Folgebeschäftigung.
Noch grösser ist die Gefahr, dass der Sonntag nach und nach zu einem normalen Arbeitstag wird. Mit jeder weiteren schrittweisen Liberalisierung – sei es durch eine Ausnahme oder einen zusätzlichen Verkaufstag – wird der arbeitsfreie Sonntag weiter erodieren - klassische Salamitaktik.
Gemeinsam für gesunde Arbeitsbedingungen
/Die Forderungen nach Liberalisierungen werden immer lauter und betreffen längst nicht nur den Detailhandel. Ständige Erreichbarkeit und immer mehr Flexibilität machen es immer schwieriger, Arbeit und Freizeit in Balance z u h alten. Deshalb ist es umso wichtiger, dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Für Bickert ist klar: «Der Sonntag soll ein arbeitsfreier Tag bleiben – für Erholung, Hobbys, gemeinsame Aktivitäten und als Tag, an dem man die Arbeit auch einfach mal vergessen kann. Dafür kämpfen wir!»