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«Intensive Zeiten, die enorm fordern»

Peter Allemann war wesentlich am Fusionsprozess beteiligt, der 1998 zur Gründung von Syna führte. Anlässlich des 20. Geburtstags der Gewerkschaft traf er sich mit dem aktuellen Präsident Arno Kerst zum Gespräch.

Hand aufs Herz, Peter: Wenn du die heutige Arbeitswelt betrachtest, bist du froh, nicht mehr Syna-Präsident zu sein? Oder würdest du sofort wieder ins Amt einsteigen?
Peter Allemann: «In den letzten Jahren hat sich vieles fundamental verändert; das Kommunikationsverhalten, die Digitalisierung in fast allen Branchen, neue Berufsbilder, die entstanden sind.»

Peter: Jede Zeit hat ihre Herausforderungen. Allerdings weisen die aktuellen Entwicklungen eine grosse Ähnlichkeit auf mit der Fusionszeit vor 20 Jahren: Es sind ähnlich intensive Zeiten, die enorm fordern. In den letzten Jahren hat sich vieles fundamental verändert; das Kommunikationsverhalten, die Digitalisierung in fast allen Branchen, neue Berufsbilder, die entstanden sind. (Schmunzelt) Doch, ich würde gerne reinschauen!

Arno: Es sind nicht nur die Berufsbilder: Ganze Branchen verschwinden und neue entstehen. Hinzu kommen Angriffe von politischer Seite wie beispielsweise aktuell auf die Flankierenden Massnahmen (FlaM) oder auf das Arbeitsgesetz. Alles soll flexibler werden!

Peter: Diesbezüglich hatten wir es einfacher. Damals gab es noch klare Regeln und Grenzen. Doch heute gilt «anything goes» – alles scheint frei!

Arno: Das funktioniert aber nicht für alle. Mit einem dicken Bankkonto lässt sich leicht die Deregulierung der Arbeitsverhältnisse loben. Wer jung und ungebunden ist, schätzt vielleicht flexible Arbeitszeiten. Wer hingegen eine Familie hat, kaum genug verdient oder nicht die neuste Ausbildung hat, sieht das anders.

Peter: «Anything goes» heisst schliesslich auch, dass verschiedene Modelle nebeneinander Platz haben sollen! Aber ich sehe schon, es ist eine schwierige Zeit. Auch für die Positionierung als Gewerkschaft: Zeigt ihr euch offen für Änderungen, geltet ihr als Verräter des Bestehenden. Haltet ihr dagegen an gewissen Grundsätzen fest, heisst es, «die sind im Alten verhockt …»

Arno: Ja, das ist tatsächlich schwierig. Umso wichtiger, dass Syna klare sozialethische Werte hat, um Veränderungen daran zu beurteilen. Übrigens scheinen die Werte einiger Arbeitnehmerorganisationen bereits verschoben. Das zeigt sich bei den Diskussionen über die FlaM und die Flexibilisierung der Arbeitszeit: Bei gewissen Verbänden muss man sich fragen, ob sie wirklich noch die Arbeitnehmenden vertreten?

Wie seht ihr die Gewerkschaft der Zukunft? Wird es diese in 20 Jahren überhaupt noch geben? 

Arno: Nur zum Selbstzweck oder aus historischen Gründen braucht es sie natürlich nicht. Eine Gewerkschaft soll die Bedürfnisse der Arbeitnehmenden aufnehmen und vertreten. Und solche wird es immer geben: Die Bedürfnisse nach einem sicheren Arbeitsplatz, gesunden Arbeitsbedingungen und einem geregelten Einkommen bleiben bestehen. Genau wie die Erkenntnis, dass man gemeinsam mehr erreichen kann. 

Peter: Richtig, ein uraltes Prinzip, das auch heute noch gilt! 

Arno: Zudem haben wir einen grossen Vorteil: Die Gewerkschaft Syna hört genau hin. Bei unseren Mitgliedern, aber auch den Arbeitgebern. Wir suchen immer das Gespräch und verschliessen uns neuen Entwicklungen nicht. Schon oft konnten wir Alternativlösungen anbieten und so eine Einigung in Sozialpartnerschaften erreichen.

Provokativ könnte man sagen: Syna ist die leisere der beiden grossen Gewerkschaften in der Schweiz; deswegen aber auch die weniger bekannte?
Arno Kerst: «Die Bedürfnisse nach einem sicheren Arbeitsplatz, gesunden Arbeitsbedingungen und einem geregelten Einkommen bleiben bestehen.»

Peter: Es ist das alte Lied: Wie präsentiert man seine Alternative? Im Stillen oder medial aufbereitet? Leise sein kann eine Tugend sein. Es kann aber auch ein Fehler sein! 

Arno: Meinst du, wir müssten lauter sein?

Peter: Ja, manchmal schon. Die Kommunikation gegen aussen ist schliesslich auch eine Möglichkeit, die Mitglieder abzuholen. Ich war früher eher zu zurückhaltend. Man hätte öfter den Tarif durchgeben sollen! Zum Glück hat vor allem Co-Präsident und Nationalrat Hugo Fasel diesbezüglich Gegensteuer gegeben.

Apropos Kommunikation: Peter, du hast das veränderte Kommunikationsverhalten angesprochen. 

Peter: Es ist ganz wichtig, dass ihr das berücksichtigt! Social Media sind zentrale Instrumente in der heutigen Zeit. Ihr braucht Gefässe, die Diskussionen ermöglichen! Macht ihr was mit Social Media? 

Arno: Ja, wir sind präsent auf Facebook und Twitter. Und einige Regionalsekretariate haben Whatsapp-Gruppen eingerichtet für ihre Mitglieder. Wir suchen immer wieder nach neuen Möglichkeiten, mit unseren Mitgliedern in Kontakt zu treten. Wir wollen wissen, was sie denken, welche Bedürfnisse sie haben. An den Versammlungen treffen wir ja vor allem die älteren Mitglieder. Dabei haben wir viele junge Mitglieder  – doch an den Versammlungen sind diese leider selten präsent. 

Peter: Das war aber bei uns auch schon so. Bei der Fusion haben wir sogar darüber diskutiert, ob wir die Sektionen abschaffen sollen, wegen der überalterten Organisationsstruktur. Wir haben uns damals dagegen entschieden – mit dem Bewusstsein, dass sich die Sektionsstruktur von der Basis her verändern würde. Einige Sektionen haben sich mittlerweile aufgelöst, viele haben fusioniert. Die Zukunft wird wohl zeigen, wie es mit den Sektionen weitergeht. 

Arno: Es gibt aber auch Mitglieder, die den persönlichen Kontakt, das Treffen, um sich auszutauschen, schätzen! Es wäre schade, diese Möglichkeiten aufzugeben.

Peter: Natürlich, es soll doch beides geben, ganz nach den unterschiedlichen Bedürfnissen der Mitglieder. Auch hier: «anything goes».


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