«Wir müssen nun vorausschauen und gemeinsam nach Lösungen suchen»
Die Telefone laufen in diesen Tagen heiss bei Nico Fröhli: Als Branchenleiter bei Syna, der die MEM-Industrie betreut, erlebt er die Auswirkungen des US-Zollhammers hautnah mit. Ein Gespräch über besorgte Arbeitnehmende, vorauseilende Arbeitgeber/-innen und Forderungen an die Schweizer Politik.
Nico Fröhli, wie hast du den letzten Donnerstag erlebt, als Bundesrätin Karin Keller-Sutter und ihr Kollege Guy Parmelin nach Washington flogen, um die Donald Trump angedrohten 39-Prozent-Zölle in letzter Sekunde abzuwenden?
Nico Fröhli: Natürlich habe ich die Berichterstattung rund um die Verhandlungsbemühungen gespannt verfolgt. Doch der negative Ausgang hat mich nicht überrascht. Denn die Zoll-Thematik beschäftigt mich bereits seit dem Frühling, seit Donald Trump mit 32-Prozent-Zöllen kam. Schon damals machte sich in der die MEM-Industrie-Branche Nervosität breit. Kein Wunder, wir sind eben ein exportorientiertes Land.
Was hast du nach der ersten Zoll-Ankündigung getan, um einer Abwanderung von Arbeitsplätzen durch die hohen Zölle entgegen zu treten?
Wir haben gemeinsam mit den Sozialpartnern des MEM-GAV sofort reagiert und eine parlamentarische Initiative eingereicht. Sie soll die maximal mögliche Bezugsdauer von Kurzarbeit verlängern. Eine legitime Forderung aus unserer Sicht. Denn nach der Covid-Pandemie und Energie-Krise merkten wir, dass die Firmen ans Ende des Bezugs von Kurzarbeit kamen. Es drohte eine Massenentlassungswelle. Zum Glück ist dieses Szenario bisher nicht eingetreten.
Was passiert nun weiter mit der Initiative?
Die Gespräche mit Vertreter/-innen aus der Politik sind im Gange. Und wir hoffen, dass das Parlament im Herbst ja sagt zum Anliegen. Aktuell ist jedoch unklar, ob die Hilfe für viele Unternehmen nicht allenfalls zu spät kommt. Deshalb muss der Bundesrat nun Farbe bekennen und die Erhöhung der maximalen Kurzarbeitsbezugsdauer mittels Notrecht anwenden. Ein demokratisch unschöner Prozess, der in dieser Situation jedoch viel Schlimmeres vorbeugen kann.
Inwiefern war den Arbeitnehmenden schon bei den ersten Ankündigungen von hohen Zöllen Anfang April bewusst, welche Auswirkungen sie auf die Wirtschaft und am Ende auch auf ihren Arbeitsplatz haben könnten?
Hier ergibt sich ein äusserst differenziertes Bild. In Branchen wie der Uhrenindustrie, die besonders stark vom Export lebt, war den Arbeitnehmenden durchaus bewusst, was da auf sie zukommen könnte. Ihnen war auch klar, dass die Situation für ihr Unternehmen schwieriger würde. Andere Branchen hingegen sahen, dass sie von den Zöllen nicht oder nur gering betroffen sind.
Zum Beispiel?
Dabei handelt es sich zum Beispiel um internationale Konzerne, die zwar in der Schweiz Niederlassungen haben. Die US-marktbestimmte Produktion allerdings befindet sich im Ausland, wo die hohen Zölle nicht greifen. Nun ist es wichtig, wachsam zu sein.
In welcher Hinsicht?
Wir müssen dafür sorgen, dass Arbeitgebende auf dem Buckel der Arbeitnehmenden keine Unternehmens-Sanierungen vornehmen, obwohl kein Sanierungsbedarf besteht. Die hohen Zölle werden in solchen Fällen gerne als Vorwand vorgeschoben.
Davor hat Syna in der Medienmitteilung am letzten Donnerstag hingewiesen, die als Reaktion auf den Zollhammer verschickt wurde.
Wie eingangs erwähnt, ich hatte keine Hoffnung, dass sich die hohen Zölle noch abwenden lassen. Betrachtet man die politische Arbeit des Bundesrats im letzten halben Jahr, fällt auf – es fehlt eine greifbare Strategie. Man weiss nicht, wie man einer erratischen Person wie dem US-Präsidenten gegenüber auftreten soll, damit man zu einem Verhandlungsergebnis kommt. Und weiter sind offensichtlich keine Alternativszenarien in Betracht gezogen worden.
Wie fielen die Reaktionen aus der MEM-Branche aus?
Die einen Unternehmen haben bereits Kurzarbeit eingegeben oder fragen um eine Verlängerung an. Diese Forderung kann ich nachvollziehen. Immerhin gründet sie auf einer parlamentarischen Initiative, die Syna im Mai zusammen mit Swissmem und allen anderen Sozialpartnern des Gesamtarbeitsvertrags (GAV) eingereicht hatten.
Gibt es auch Forderungen vonseiten Arbeitgebenden, mit denen du nicht einverstanden bist?
Die gibt es. Bereits liegen uns erste Einladungen zu Personalinformations-Veranstaltungen vor. Es sieht ganz so aus, als würden daraus Massenentlassungen folgen. Mit anderen Worten, für die nächsten Monate zeichnet sich ein düsteres Bild ab. Wir können nur hoffen, dass sich Donald Trump umstimmen lässt.
Und wenn nicht?
In diesem Fall müssen wir alles daransetzen, die nächsten drei Jahre zu überbrücken, bis – hoffentlich – wieder ein normaler Austausch mit Amerika möglich ist. Dazu gehört auch, die Standards einzuhalten, die wir uns einst gesetzt haben. Das betrifft unter anderem die Klimaziele, aber insbesondere auch die Arbeitsbedingungen. Sie müssen attraktiv bleiben. Denn gerade in der Industrie findet eine grosse Abwanderung von Fachkräften statt, und das ist verheerend. Darum sind Forderungen wie "kein weiterer Ausbau von Sozialleistungen" fehl am Platze.
Wie lässt sich das alles finanzieren?
Die Arbeitslosenversicherung ist gut aufgestellt. Das wird auch beim Blick auf die letzten Jahre deutlich. Momentan sieht es sogar so aus, dass per 1. Januar 2026 die Beiträge von Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgeber/-innen für die Arbeitslosenversicherung gesenkt werden können. Des Weiteren hat sich am Beispiel der Corona-Pandemie aber auch beim CSS-Debakel gezeigt, dass der Bundesrat in Krisensituationen schnell Hilfsmittel zur Verfügung stellen kann. Diese finanziellen Mittel zur finanziellen Entlastung kommen in Extremsituationen zum Tragen, in einer welchen wir zweifelsohne sind.
Wie reagiert Syna auf die aktuellen Entwicklungen?
Wichtiger denn je ist es für die Gewerkschaft, nahe bei den Leuten zu sein. Arbeitnehmende, denen Vorgänge in ihrem Betrieb nicht ganz geheuer sind, sollen sich unbedingt bei uns melden. Dann können wir der Sache nachgehen. Gleichzeitig stehen wir im ständigen Dialog mit Vertreter/-innen aus Politik, Sozialpartner/-innen und Arbeitgeber/-innen. Polemik von allen Seiten her ist in dieser Situation fehl am Platz. Stattdessen müssen wir vorausschauen und gemeinsam nach Lösungen suchen. Es geht ja darum, drei Jahre Donald Trump zu überstehen.