Skip to main content

«Jetzt sind Wirtschaft und Politik gefordert»

Erwerbsarbeit, Familie und andere Lebensbereiche miteinander zu vereinbaren, ist in der Schweiz schwierig. Dabei ist der Preis für die Arbeitnehmenden schon hoch und wird weiter steigen.

Diese Thematik ist einer der Schwerpunkte von Valérie Borioli Sandoz' Arbeit als Leiterin Gleichstellung bei Travail.Suisse. Mit dem «Aktionsplan Vereinbarkeit» hat Borioli Sandoz nun eine Gesamtschau erarbeitet.
Sie zeigt: 10 Jahre lang müssen mindestens 500 Millionen Franken für die Vereinbarkeit aufgewendet werden. 

Warum ist Vereinbarkeit in der Schweiz ein so schwieriges Thema?
Valérie Borioli-Sandoz: Weil die Rahmenbedingungen fehlen. Und wenn wir nicht bald etwas verändern, wird es noch schlimmer: Die demografische Alterung der Bevölkerung, die niedrige Geburtenrate und steigende Anforderungen im Arbeitsmarkt wie die Flexibilisierung oder der Druck auf die Arbeitszeiterfassung werden die Situation nicht verbessern. Klar ist: Der Preis für die Arbeitnehmenden ist schon hoch und wird noch steigen.

Was sind die Folgen?

Die Arbeitnehmenden kommen immer stärker unter Druck. Sie haben einen stressigen Joballtag, holen danach Kinder aus der Kita oder der Tagesschule und erledigen abends neben Haushalt noch anfallende Aufgaben für ihre Eltern, die auf Unterstützung angewiesen sind. Soziales oder politisches Engagement, Freunde und Hobbies, aber auch die Erholung bleiben auf der Strecke.
Das gefährdet auch die Gesundheit dieser Arbeitnehmenden. Der Bund hat es berechnet: Stress kostet uns jährlich 8 Milliarden Franken. 

Können Betroffene nicht Arbeiten auslagern? Zum Beispiel waschen, putzen, einkaufen? 

Wir dürfen nicht vergessen, dass in der Schweiz immer mehr Leute mit immer weniger Geld auskommen müssen. 600 000 Personen sind heute in der Schweiz von Armut betroffen, Tendenz steigend. Viele Familien, in denen beide Elternteile arbeiten, sind auf beide Einkommen angewiesen. Sie können es sich schlicht nicht leisten, Arbeiten für Geld auszulagern.

Was bedeutet das für die Zukunft unserer Gesellschaft und unserer Arbeit? 

Das ist genau der Punkt: Arbeit und Leben müssen zwingend besser vereinbar werden.
Die Schweiz hinkt anderen europäischen Ländern diesbezüglich massiv hinterher. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Politik dies begreift und entsprechend Massnahmen und Mittel erlässt. Passiert das nicht, so geraten immer mehr Arbeitnehmende immer stärker unter Druck.
Als eines der reichsten Länder der Welt sollten wir mindestens so viel ausgeben wie die anderen OECD-Länder, da jeder in die Vereinbarkeit investierte Franken sich doppelt und dreifach auszahlt. 

Was muss die Wirtschaft tun? 

Die Wirtschaft ist dafür verantwortlich, dass Arbeit sich nicht negativ auf die Arbeitnehmenden auswirkt. Das bedeutet, dass Arbeitszeit weiter erfasst werden muss, dass Flexibilität nicht nur von den Arbeitbeitnehmenden gefordert wird, sondern auch von den Arbeitgebern und selbstverständlich, dass die Arbeit vereinbar ist mit dem Privatleben.
Durch den Fachkräftemangel wird immer klarer: Wollen die Firmen gute Leute, so müssen sie auch etwas bieten. Wirtschaft und Politik sind jetzt gefordert, in eine bessere Vereinbarkeit zu investieren.
Mit dem «Aktionsplan Vereinbarkeit» zeigt Travail.Suisse, was in welchem Zeitraum nötig ist. 

Ähnliche Beiträge