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«Ich war mit Herzblut Gewerkschaftssekretär»

Einen Grossteil seines Berufslebens verbrachte Ernst Zülle bei Syna und ihrer Vorgängerorganisation, dem CHB.  

Meine Gewerkschaftskarriere begann schon sehr früh. Nicht lange nach meiner Lehre zum Schreiner hat mich Werner Rindlisbacher gefragt, ob ich nicht bei ihnen arbeiten wolle. Sie – das war der CHB, der Christliche Holz- und Bauarbeiterverband, einer der vier Vorläuferverbände von Syna. Werner war damals CHB-Sekretär in Frauenfeld und später Geschäftsleitungsmitglied von Syna. Ich musste nicht lange nachdenken – schliesslich war ich zu dem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren Mitglied. Anfangs war ich im Sekretariat Frauenfeld zuständig für die Kantone Thurgau und Schaffhausen. Nach einer Weile kam das Sekretariat St. Gallen für die Kantone St. Gallen und Appenzell hinzu. 

Ich war viel draussen unterwegs, vor allem auf Baustellen und konnte viele Bauleute davon überzeugen, Mitglied zu werden. 2004 wurde ich zum Zentralsekretär für das Bauhaupt- und das Baunebengewerbe gewählt. In diesem Amt blieb ich bis Ende 2019, respektive bis zur Wiederwahl zum Stadtrat für das Departement Bau in Kreuzlingen. Mit der Ernennung zum Vize-Stadtpräsidenten entschloss ich mich dann, mich ganz auf die kommunale Politik zu fokussieren. 

Bleibende Erinnerungen

In all den Jahren ist im Bauhauptgewerbe viel passiert. Einmal verliefen die Verhandlungen so zäh, dass der Bundesrat uns ein Ultimatum stellte: Ihr hört nicht auf zu verhandeln, bis ihr euch geeinigt habt. Unter der Leitung von Ex-Seco Chef Jean-Luc Nordmann erzielten wir nach 20 Stunden Non-Stop-Verhandlung ein für beide Seiten akzeptables Ergebnis. Besonders in Erinnerung bleibt mir aber der 24-Stunden-Streik beim NEAT-Basistunnel. Das war rund um die LMV-Verhandlungen 2007. Zusammen mit allen Mineuren haben wir für 24 Stunden die Arbeit niedergelegt und die ganze Schweiz hat darüber berichtet. Von der Neat-Bauleitung kam dann auch gleich die Rechnung: Als Streikführer wurden der Verantwortliche der Unia und ich als Vertreter von Syna zu je einer halbe Million Franken verklagt! Doch als wir uns geeinigt hatten und der neue LMV stand, wurden auch die Klagen fallengelassen.

Das waren zum Teil harte Protest- und Streikaktionen bei LMV-Verhandlungen, doch sie haben sich gelohnt! Auf dem Bau konnten wir die Wochenarbeitszeit von 45 auf 40.5 Stunden senken und die Ferien auf fünf oder sechs (ab 50 Jahren) Wochen erhöhen. Die Löhne konnten sukzessive erhöht werden. Nichtsdestotrotz arbeitet man die meiste Zeit nicht gegeneinander, sondern mit den Arbeitgebern zusammen. Die Richtlinien im Bereich Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit, die Weiterbildungsmöglichkeiten aber auch den Vertragsvollzug haben beide Seiten gemeinsam erarbeitet. Dabei hat Syna eine wichtige Rolle gespielt. Das sind Errungenschaften, auf die ich heute noch stolz bin.

Eines meiner persönlichen Highlights ist der Flexible Altersrücktritt (FAR). Dank dieser Stiftung können Bauleute schon mit 60 in Pension gehen – ein Muss bei körperlich so zehrenden Arbeiten! Seit dem 1. Juli 2003 ist der GAV FAR in Kraft. Das zu erreichen war ein rechter Kampf – auch für diese Errungenschaft gingen wir mit tausenden von Bauleuten auf die Strassen und bestreikten Baustellen. 

Als die ersten Erfahrungen zeigten, dass wir richtig lagen und das Modell erfolgreich ist, haben wir ähnliche Lösungen auch im Baunebengewerbe gefordert. Jetzt gibt es ein Vorruhestandsmodell (VRM) für die Gebäudehülle und im Maler- und Gipsergewerbe, sowie den FAR Gerüstbau. Leider haben wir es auch nach mehreren Anläufen noch nicht geschafft im Schreinergewerbe und im Holzbau ein ähnliches System einzuführen. Der FAR liegt mir nach wie vor am Herzen. Ich bin stolz, bei diesem geschichtlichen Wandel dabei gewesen zu sein. Deshalb bin ich immer noch im Stiftungsrat aktiv.

Politik

Heute kann man sich das kaum mehr vorstellen, aber bis in die 1980er Jahre gab es neben der AHV keine berufliche Altersvorsorge, nur einzelne Firmen, die freiwillig eigene Kassen hatten. 1972 war in der Verfassung zwar das Drei-Säulen-Prinzip der Altersvorsorge verankert worden und die berufliche Vorsorge für obligatorisch erklärt. Umgesetzt wurde der Artikel aber erst 1985.Bis zu dieser Einführung brauchte es viel Überzeugungskraft. Wir haben uns enorm ins Zeug gelegt: Wir waren in regionalen Komitees dabei und ich hielt viele Vorträge – wir mussten Arbeitnehmende informieren und überzeugen und bei Arbeitgebenden lobbyieren. Die Gegner schürten Angst und behaupteten, bei einem Ja zum BVG müssten etliche Kleinbetriebe schliessen und Tausende würden ihre Stelle verlieren.

Altbekannte Forderungen

Diese politische Arbeit in meinen ersten Jahren als Gewerkschaftssekretär motivierte mich, weiterhin für eine bessere Finanzierung im Alter aktiv zu sein. Dass auch heute immer wieder eine Senkung des Umwandlungssatzes diskutiert wird, ist wegen der höheren Lebenserwartung zwar nachvollziehbar, man könnte das „Problem" jedoch mit einer besseren Finanzierung lösen. Die weitere Forderung der Neoliberalen, das Rentenalter zu erhöhen, ist absurd. Ich erinnere mich an eine Demo anfangs 2000er, als wir mit 30'000 Leuten dagegen protestierten. Das Motto damals: Kein Rentenklau! Das hat sich nicht verändert. Einzig die Mobilisierung: Heute ist es schwerer, die Leute für so etwas zu motivieren. Vielleicht ist die Dringlichkeit heute eine andere, denn die meisten GAV und die gesetzlichen Bestimmungen sind recht gut – wir haben schon einiges erreicht. 



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