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«Das Gesundheitswesen ist eine einzige riesige Baustelle»

Karin Grossniklaus arbeitet seit ihrer Ausbildung in der Pflege und kann sich nicht vorstellen, etwas anderes zu machen. Trotzdem wünscht sie sich, dass sich in der Branche einiges ändern würde. 

Ich liebe meinen Job – sonst würde ich ihn nicht seit 35 Jahren machen! Aber manchmal ist es schon schwer. Als Pflegefachfrau in einem Altersheim ist es nicht einfach, allen Ansprüchen gerecht zu werden. Da sind die Bewohnenden, denen du die Betreuung und Aufmerksamkeit geben möchtest, die sie brauchen. Ihre Angehörigen, die teilweise andere Ansichten haben als sie und die ihren Frust oft an dir ablassen. Und dann sind noch die Ärztinnen und Ärzte, deine Vorgesetzten und natürlich auch deine eigenen Ansprüche. All dem wirklich gerecht zu werden, ist fast unmöglich. Dazu bräuchte es viel mehr Personal – im heutigen System leider ein utopischer Wunsch. 

Geringe Anerkennung 

Ursprünglich habe ich Kinderpflegerin gelernt, doch diesen Beruf gibt es so heute nicht mehr. Deshalb hat es mich beruflich mittlerweile ans andere Ende des Lebens verschlagen: in die Alten- und Palliativpflege. Es klingt seltsam, aber hier kann ich vieles aus meiner Ausbildung anwenden: Gerade demente Menschen verfallen oft wieder in kindliche Muster.
Trotz all der Erfahrung und zahlreicher Weiterbildungen hat sich mein Lohn in all den Jahren aber kaum verändert. Das ist frustrierend. Verglichen mit anderen Berufen verdienen wir natürlich nicht schlecht. Aber bei unserer Arbeit geht es um Menschenleben. Wenn man sieht, welche enorme Verantwortung wir tragen, ist das einfach nicht angemessen! Ich glaube, das liegt auch daran, dass man mit uns am liebsten eigentlich gar nicht zu tun haben möchte. Niemand will auf Pflege angewiesen sein, und ins Altersheim schon gar nicht. Die meisten schieben es dann lieber von sich weg und interessieren sich deshalb auch wenig für die Situation des Pflegepersonals. Doch das ist gefährlich. Manchmal wünschte ich mir fast, dass mal etwas passiert, weil ich schlicht zu viel auf einmal machen muss. Natürlich, ohne dass jemand zu Schaden kommt, aber damit man endlich merkt, dass es so einfach nicht weitergeht.

Zusammen ist es leichter 

Dass es sich lohnt, sich zu wehren, habe ich bei meiner vorherigen Stelle deutlich gespürt. Wir waren ein gut eingespieltes Team – auch heute, 2 Jahre später, treffen wir uns immer noch alle hin und wieder. Doch dann begann die Abteilungsleiterin, uns gegeneinander auszuspielen und putzte einige aus dem Team grundlos herunter, es war regelrechtes Mobbing. Mich persönlich liess sie damit in Ruhe – sie hat schnell gemerkt, dass ich mir das nicht gefallen lasse. Aber einige Kolleginnen und die gesamte Teamatmosphäre litten stark unter der Situation. Deshalb beschloss ich, etwas dagegen zu unternehmen. Gemeinsam verfassten wir einen anonymen Brief, in dem wir alle Vorfälle ansprachen. Die Direktion nahm sich der Situation an, und die Abteilungsleiterin verliess daraufhin den Betrieb. 

Es geht nicht um uns 

Dabei ist der Druck auf uns auch ohne solche Geschichten bereits gross genug: Viele meiner Kolleginnen und Kollegen sind in psychologischer Betreuung, ich selbst stand auch einmal kurz vor einem Burnout. Das Gesundheitswesen ist eine einzige riesige Baustelle. Ich wünsche mir, meine Berufskolleg/-innen würden mehr für sich einstehen, damit unsere Bedürfnisse besser wahrgenommen werden. Denn schliesslich geht es nicht einmal nur um uns: Wenn es uns gut geht, können wir auch die Bewohnerinnen und Patienten besser betreuen. Wenn es uns gesundheitlich gut ginge – körperlich und psychisch – würden letztlich alle profitieren. Deshalb bin ich auch Syna-Mitglied: Um für meinen Berufsstand etwas zu verändern.


Die neue Arbeiterklasse ist vornehmlich weiblich und arbeitet in der Dienstleistung. Ihre Arbeitsbedingungen sind oft prekär: Der Lohn ist tief, die Arbeitszeiten sind lang und der Druck steigt zunehmend. Dies kann sich nur ändern, wenn die Arbeitnehmerinnen aufstehen und sich für ihre Rechte einsetzen. 


syna.ch/ich-steh-auf

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