«Ich habe wohl das Helfer-Syndrom»
Jolanta Krattinger ist Leiterin des Syna-Rechtsdienstes. Warum sie damit eine Schlüsselposition in der Gewerkschaft hat und woraus sie ihre Motivation zieht? Mehr dazu im Interview.
Jolanta, was machst du bei uns genau?
Jolanta Krattinger: Ich leite den gewerkschaftlichen Rechtsdienst. Dabei führe ich ein Team von insgesamt 7 Jurist/-innen, die unsere Mitglieder in den Regionalsekretariaten beraten. Ausserdem prüfe ich die Gesuche um Rechtsschutz, welche die Sekretariate bei mir für ihre Mitglieder einreichen. Und wenn ich Zeit habe, gehe ich für den einen oder anderen Fall auch mal selber vor Gericht. Das habe ich früher, als Juristin im Regionalsekretariat Fribourg, öfter getan.
Syna-Mitglieder haben also Anspruch auf Rechtsschutz?
Ja! Bei Problemen mit dem Arbeitgeber oder Fragen zur Sozialversicherung können sie sich bei ihrem Regionalsekretariat melden. Diese klären dann die rechtliche Situation ab. Wenn es sich um eine komplexe Angelegenheit handelt, dann wird ein externer Anwalt / eine Anwältin eingeschaltet. Fälle, bei denen es um Sozialversicherungen geht, geben wir in der Regel an die Coop-Versicherung weiter, da wir mit dieser haben eine Kooperation haben.
Mit welchen Problemen werdet ihr am häufigsten konfrontiert?
Bei 90% geht es um eine Kündigung zur Unzeit. Zum Beispiel, wenn jemand länger krankgeschrieben ist. In 70% dieser Fälle ist die Kündigung übrigens ungerechtfertigt.
Auch Mobbing ist ein häufiges Thema. Das ist allerdings sehr schwierig zu beweisen. Es geschieht oft im Verborgenen, ohne Zeugen. Und wenn es Zeugen gibt, wollen diese nicht aussagen. Zudem ist bereits die Definition von Mobbing schwer zu verstehen; man muss unterscheiden zwischen Mobbing und einer Konfliktsituation. Und die Mobbingsituation muss mindestens 6 Monate gedauert haben, vorher lässt sich rechtlich gar nichts machen.
Wird denn dieser Rechtsschutz oft in Anspruch genommen?
Sehr oft. Unser Service für Rechtsberatung wird wirklich benötigt! Neben der Verhandlung von Gesamtarbeitsverträgen ist es für viele Mitglieder die wichtigste Dienstleistung der Gewerkschaft. Und der Bedarf an Rechtsberatung steigt – leider. Das spüren wir gerade jetzt, während der Coronakrise, in einer Zeit, da Kündigungen zunehmen.
Wie ging es dir während dieser Zeit? Hattest du viel zu tun?
Oh ja, es war sehr stressig! Wir erhielten enorm viele Anfragen, und die Rechtslage änderte sich ja ständig. Wir verfolgten die Medienkonferenzen des Bundesrats jeweils ganz genau, um immer auf dem neusten Stand zu sein.
Die meistgestellten Fragen drehten sich um die Risikogruppen: Betroffene wollten wissen, ob sie zuhause bleiben dürfen. Auch die Kurzarbeitsentschädigung löste zahlreiche Fragen aus.
Neben dem ganzen Stress gibt es aber sicher auch Erfolgserlebnisse. Weisst du einen Fall, an den du gerne zurückdenkst?
Das war für ein Mitglied, der an den Folgen eines Arbeitsunfalls litt. Für ihn konnte ich rückwirkend 129 000 Franken Suva-Rente erreichen. Er hatte einen Rückfall in seiner Krankheit. Weil er zu der Zeit aber bereits pensioniert war wollte ihm die Suva die Entschädigung nicht auszahlen, die ihm eigentlich zugestanden hätte.
Lustiges erlebst du bei deiner Arbeit wohl eher selten?
Hmm, ja, leider. Während der Rechtsberatung im Sekretariat kam es aber schon ab und zu mal zu komischen Erlebnissen. Zum Beispiel, wenn Mitglieder versuchten, mir theatralisch vorzuzeigen, wie es zu ihrem Arbeitsunfall kam …
Und was gibt dir die Motivation für deine Tätigkeit?
Ich habe wohl das Helfer-Syndrom (lacht). Ich helfe gerne, auch privat. Es macht mich glücklich, wenn ich Menschen in schwierigen Situationen helfen kann.
Zum Jura-Studium hat mich aber ursprünglich mal meine Sekundarlehrerin gebracht. Sie sagte mir nämlich: «Das schaffst du sicher nicht!» In diesem Moment hatte ich meinen Beruf gefunden, denn ich bin stur: Es spornt mich an, wenn mir jemand etwas nicht zutraut. Leider habe ich diese Lehrerin nie wieder getroffen. Ich konnte ihr also nicht erzählen, dass ich es sehr wohl geschafft habe.