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«Ich bin ein passionierter Problemlöser»

Marco Geu sucht lieber Lösungen für Probleme, als dass er sie vor sich hinschiebt. In seiner Arbeit als Zentralsekretär bei der Gewerkschaft Syna verfolgt er dafür auch mal unkonventionelle Ansätze.

Die obligate Frage: Wie sieht dein Alltag als Zentralsekretär aus?

Marco Geu: Ich sehe mich in der Rolle eines Übersetzers, der zwischen verschiedenen Anspruchsgruppen steht und deren Ansprüche in die jeweils andere «Sprache übersetzt». Ich versuche, Bedürfnisse, Anregungen oder Kritik von unseren Mitgliedern in Botschaften und Strategien umzuwandeln, welche die Arbeitgeber verstehen und mit offenen Ohren aufnehmen.
Das ist übrigens nicht immer eine Einweg-Geschichte: Manchmal muss ich wirklich auch den Arbeitgebern Recht geben und sagen «Sorry, hier liegt das Problem nicht auf eurer Seite, das müssen wir zuerst lösen.»

Welche Probleme werden an dich herangetragen? 

Es sind meist emotionale Einzelschicksale: da geht es oft um Kündigungen, um Krankheiten. Meine Arbeit besteht darin, in den Einzelschicksalen grössere Zusammenhänge zu erkennen. Dann entsteht aus vielen Einzelfällen ein Gesamtbild, das Fragen nach systematischen Problemen aufwirft: Gibt es Lücken im GAV? Wird das Arbeitsgesetz nicht eingehalten?
Leider gibt es aber immer wieder Situationen, die unschön sind, gegen die wir aber trotzdem wenig tun können, weil sich der Arbeitgeber ans Gesetz hält.

Fällt es dir dabei manchmal schwer, ruhig zu bleiben? 

Ich versuche, die Emotionen herauszufiltern. Wut zum Beispiel ist nicht zielführend, damit kommst du nicht weiter. Um das Gegenüber am Tisch zu behalten, ist ein Gespräch auf sachlicher Ebene enorm wichtig. Du musst dich immer fragen «Was bringt mehr?» – «Womit erreichen wir unser Ziel?» Gute Chancen haben wir, wenn sich ein Arbeitgeber nicht ans Recht hält, wenn es ihm finanziell wehtun könnte oder dem Image schaden würde. Doch manchmal ist es schon schwer, anständig zu bleiben.

Du verhandelst sowohl mit kleinen Firmen als auch mit grossen Playern. Bemerkst du Unterschiede?

Nein; letztendlich geht es doch immer um die Frage: Wie findet man den Draht zueinander? Das Zwischenmenschliche entscheidet oft. Dabei kann vieles kaputtgehen – dann dauert es Jahre, bis diese Beziehung wieder aufgebaut ist. Dafür, wenn es stimmt, und die Zusammenarbeit harmoniert, dann ist es genial!
Aber auch die Unternehmenskultur spielt eine grosse Rolle: Herrscht eine Kultur der Offenheit, des Probleme-lösen-wollens? Ist überhaupt Wertschätzung gegenüber der Sozialpartnerschaft vorhanden? Und ist man bereit, ehrlich zu verhandeln? Verhandlungen sind ein Geben und Nehmen, es darf nicht einfach nur Forderungen geben – von beiden Seiten nicht.
Gute, sachliche Diskussionen geniesse ich. Auf prinzipielle Gesprächsverweigerung reagiere ich dagegen allergisch! Es nervt mich, wenn nicht zugehört wird. Das ist keine Art der Zusammenarbeit!

Welches sind die grossen Herausforderungen in deinen Branchen? 

Im Detailhandel ist es der technologische Wandel. Er zieht sich durch alle Bereiche: Verlagerung der Fläche zum Onlinehandel, Verlust von Arbeitsplätzen. Der Wandel kommt sehr schnell, er trifft die Angestellten mitten in ihrer Arbeitslaufbahn. Heute bist du mit 1 oder sogar 2 kompletten Umwälzungen während deiner Karriere konfrontiert. Eine grosse Herausforderung!
Im Gesundheitswesen beobachten wir in den letzten Jahren eine grosse Ökonomisierung. Diese zeigt immer mehr ihre hässliche Seite: Unser Gesundheitssystem droht, massiv an Qualität einzubüssen. Das sieht auch das Personal so, deshalb verlassen viele den Beruf. Das ist Gift für eine Branche.
Dann gibt es Parallelen in beiden Branchen: Wir haben es in beiden zu tun mit Tieflohnarbeit, typischen Frauenberufen mit fehlender Wertschätzung, mangelnde gewerkschaftliche Organisation. Zudem sind beide Branchen versplittert: Sie weisen viele ungleiche Player auf, ganz grosse und ganz kleine Unternehmen, die sich bereits untereinander nicht einig werden können. Wie soll dann eine Sozialpartnerschaft funktionieren?
Alles in allem gibt es wenig einfache Antworten auf sehr komplexe Problemstellungen …

«Verhandlungen sind ein Geben und Nehmen, es darf nicht einfach nur Forderungen geben – von beiden Seiten nicht.»

Marco Geu
Welches sind deine Erfolge, auf die du gerne zurückblickst? 

Ich würde nicht einen bestimmten nennen. Für mich sind es viele kleine Sachen: Ich freue mich, wenn mich ein Arbeitgeber von sich aus anruft und um meine Meinung fragt. Oder mich über etwas informiert, was er mir nicht sagen müsste. Dann weiss ich, die Tonalität stimmt. Meine Kenntnisse in der Branche werden geschätzt, man traut mir etwas zu. Dann merke ich: Da mache ich wohl etwas richtig.

Was motiviert dich in deiner Arbeit 

Ich bin ein passionierter Problemlöser! Das können auch mal unkonventionelle Ansätze sein, manchmal kommt man nicht direkt, sondern nur über 1,2 Kurven ins Ziel. Dann gibt es sicher auch ein gewisses akademisches Interesse: Mich interessiert die Fragestellung, wie eine Wirschaft funktioniert, wie sie ins gesellschaftliche Leben eingebunden ist.
Doch auch meine eigene Geschichte motiviert mich: Ich komme aus einer Familie, die nur aufsteigen konnte, weil es Gewerkschaften gab. Ich hätte nicht studieren können, wenn es nicht 100 Jahre Gewerkschaftsarbeit gegeben hätte. Ich habe der Bewegung viel zu verdanken! Hier kann ich einiges zurückgeben, an diejenigen, welche die Hilfe jetzt brauchen.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Gewerkschaft? 

Ich wünsche mir wieder mehr gewerkschaftliches Engagement, insbesondere von den Frauen! Denn wenn sich diesbezüglich etwas bewegen kann, dann durch die Frauen. Abgesehen davon ist der Kampf um ein würdiges Dasein nie abgeschlossen. Wir haben ein gutes Niveau erreicht, das wir mit wenig Aufwand halten können. Aber dafür müssen wir aktiv bleiben!


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