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«Mich motiviert die Dringlichkeit»

Das Aufbrechen stereotyper Rollenbilder sowie die Förderung von Chancengleichheit und der Jugend prägen den Arbeitsalltag von Sabri Schumacher. Weshalb es besonders in der Schweiz noch viel zu tun gibt, erklärt sie im Interview.

Du leitest die Fachstellen Gleichstellung und Jugend. Was tust du?

Als ich 2017 bei Syna anfing, erreichte gerade die violette Welle die Schweiz. Eine meiner ersten Handlungen war die Gründung der Interessensgemeinschaft für Gleichstellung der Geschlechter. Heute ist das eine Kommission bestehend aus Mitgliedern und Mitarbeitenden. Daneben organisiere und koordiniere ich auch verschiedene Aktionen und Kampagnen. Beispielsweise die Lohngleichheitsdemo, oder auch am Frauenstreik waren wir sehr präsent. «Wahre Königinnen», unsere Kampagne für mehr Wertschätzung von Detailhandelsangestellten, hatte zum Ziel, bei den Betroffenen selbst ein Bewusstsein für die Thematik zu schaffen. Es braucht in erster Linie Sensibilisierungsarbeit, damit die Leute aktiv werden und sich wehren.

Du hast die Gleichstellungskommission angesprochen. Was genau tut sie?

Wir sind die Stimme der Gleichstellung von Syna und setzen uns für Gerechtigkeit, Chancengleichheit und die Wahlfreiheit für alle ein, unabhängig des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung. Wir sind daran, ein Positionspapier mit unseren Forderungen auszuarbeiten, das dann auch in den Verhandlungen mit Arbeitgebenden zum Tragen kommen und in der Gewerkschaftskultur verinnerlicht werden soll. Als Gewerkschaft müssen wir Gleichstellung leben, um sie nach aussen vertreten zu können. Nur dann sind wir auch überzeugende Verhandlungspartner und können für mehr Gerechtigkeit sorgen, besonders in feminisierten Branchen, die grundsätzlich schlechter bezahlt sind und wo schlechtere Arbeitsbedingungen herrschen. Dazu gehört auch, andere Formen des Protestes zu entwickeln, die Frauen* eher entsprechen. Gewerkschaften und die heutigen Protestformen sind immer noch sehr stereotyp männlich geprägt.

Gibt es besondere Erfolgsmomente, an die du gerne zurückdenkst?

Im Vorfeld des Frauenstreiks stellte eine Arbeitskollegin Lohnungleichheit aufgrund des Geschlechts generell in Frage. Im Zuge der Vorbereitungen setzte sie sich vermehrt mit dem Thema auseinander und am Frauenstreik selbst war sie dann selbst an vorderster Front dabei. Solche Beispiele zeigen, wie wertvoll Aufklärungsarbeit ist. Und sie stimmen optimistisch, auch wenn sich ausser der politischen Repräsentation seit dem Frauenstreik letztes Jahr noch nicht so viel verändert hat. Das gewonnene Selbstvertrauen kann man uns nicht mehr nehmen.

Du sagst, es tue sich nicht viel. Was motiviert dich dann, weiterzumachen?

Die Dringlichkeit.
Als Kind feministischer Eltern, die sich die Care-Arbeit sehr gut untereinander aufgeteilt haben, war mir die Ursache vieler Gleichstellungsprobleme lange zu wenig bewusst. Erst mit dem Eintritt ins Berufsleben merkte ich, wie sehr Frauen* noch immer ungleich behandelt werden, dass sie sich viel mehr beweisen müssen. Für viele Frauen* spitzt sich das in der Schweiz mit dem ersten Kind besonders zu: Die Vereinbarung von Kind und Karriere ist sehr schwierig, vor allem wegen der fehlenden Strukturen, beispielsweise bezahlbaren Kinderkrippen. Dazu kommen die vorherrschenden Rollenbilder von «Männern» und «Frauen». Das alles ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich, was es schwieriger macht, die Probleme zu benennen und Veränderungen zu bewirken.

«Es braucht in erster Linie Sensibilisierungsarbeit, damit die Leute aktiv werden und sich wehren.»

Sabri Schumacher
Was sind deine Ziele?

Längerfristig geht es darum, die Dichotomie zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit aufzubrechen. Nach der Geburt des ersten Kindes arbeiten zum Beispiel 4/5 aller Mütter Teilzeit. Diese Frauen* leisten einen Grossteil der unbezahlten Arbeit, sie schmeissen den Haushalt und betreuen die Kinder. Ohne diese unbezahlte Care-Arbeit gäbe es keine Gesellschaft. Und gleichzeitig haben sie dadurch nicht nur viel weniger Einkommen als Männer* – über 100 Milliarden jährlich – sondern auch weniger Chancen aufzusteigen und sie haben ein viel höheres Risiko für Altersarmut. Da läuft doch was schief. Das muss auch in den Gewerkschaften stärker thematisiert werden.

Du leitest auch die Fachstelle Jugend. Wie sieht deine Arbeit da aus?

Grundsätzlich ist es sehr schwer, an Jugendliche heranzukommen. Sie kommen bei Fragen nicht ins Sekretariat, sie informieren sich über andere Kanäle. Da haben wir etwas den Wandel verschlafen, um die jüngeren Generationen zu erreichen. Aber es kommt langsam. Zum Beispiel kommunizieren wir nun über Whatsapp. Als ich anfing versuchte man oft noch, die Jungen mit dreiseitigen Briefen zu erreichen und war erstaunt, wenn niemand reagierte… (lacht).

Wie erreichst du die Jugendlichen?

Seit Kurzem sind wir mit «Young Syna» auch auf Instagram präsent. Dort sind wir noch ganz am Anfang. Hier ist mir wichtig, stärker die jüngeren Kolleg*innen einzubeziehen, damit die «Jungen zu den Jungen» sprechen.
Und ich habe schnell gemerkt, dass wir die Jugendlichen physisch vor allem über Berufsschulen erreichen können. Mittlerweile gehen wir jährlich in rund 20 Schulen, um einen zweistündigen Input über das Arbeitsrecht zu halten. Die Arbeitsbedingungen einiger Lernenden sind teilweise haarsträubend: Überstunden oder unverschuldete Minusstunden, keine Pausen… Dabei sind sie neu im Arbeitsleben und unerfahren, kennen ihre Rechte nicht. Wir zeigen ihnen, welche Rechte sie haben, motivieren sie, sich zu wehren und machen ihnen klar, dass wir sie dabei unterstützen. Eine Message, die den Jungen weniger einfach rüberzubringen ist: Je mehr Mitglieder wir haben, desto besser werden ihre Arbeitsbedingungen, weil wir dann mehr Gewicht in den Verhandlungen haben.

Woran liegt das deiner Meinung nach?

Von Arbeitskolleg*innen höre ich oft, unsere Gesellschaft sei sehr individualistisch und die Jugendlichen eben so sozialisiert. Da könne man nichts machen. Ich sehe das aber nicht so. Sie sind nicht weniger politisch, sondern einfach nicht mehr so institutionalisiert, nicht so gebunden. Wir sind so vielfältige Wesen mit vielfältigen Interessen geworden, umgeben von so breiten Angeboten, dass ebendiese Bindung schwierig geworden ist. Eine Person, eine Partei, eine Gewerkschaft fürs Leben – das ist nicht mehr zeitgemäss. Nun liegt es an uns als Gewerkschaft, diesen Wandel mitzugehen und jugendgerechter zu werden.


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