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Coronakrise: von Überzeiten und Abständen

Man sollte meinen, dass eine Krise dieses Ausmasses die Menschen zusammenschweisst, um gemeinsam gegen die Pandemie und ihre sozialpolitischen Auswirkungen zu kämpfen. Doch leider scheint das der Schweizerische Baumeisterverband anders zu sehen. Ganz nach dem Motto: Lass keine Krise ungenutzt …

Als Branchenleiter für das Bauhauptgewerbe erlebe ich die aktuelle Krise an verschiedenen Fronten. Meine wichtigste Aufgabe ist es, die Anliegen unserer Mitglieder und aller Angestellten, die dem Landesmantelvertrag für das Bauhauptgewerbe (LMV) unterstellt sind, zu vertreten. Gleichzeitig gilt es, die Anliegen der Arbeitgeber zu prüfen und wo es Sinn macht auch zu berücksichtigen, denn auch das gehört zur Sozialpartnerschaft. So beschäftigte uns der Brief des Schweizerische Baumeisterverband (SBV) zu Beginn der Krise: Der SBV wollte den im LMV vereinbarten Zeitpunkt der Überstunden-Auszahlung dieses Jahr einmalig von Ende April auf Ende Juni verschieben. Dazu forderte er unser Einverständnis. Würden wir nicht zustimmen, so der SBV, wäre das in Anbetracht der aktuellen Krise nicht gerade sozialpartnerschaftlich. Und überhaupt müssten wir jetzt alle zusammenstehen, meinte der SBV weiter. Kämen wir ihrer Aufforderung nicht nach, würden einmal mehr Arbeitsplätze dank den Gewerkschaften zugrundegehen.

Angestellte für Krise büssen lassen? 

Es scheint, als möchte der SBV mit seiner Forderung für die spätere Auszahlung seinen Verbandsmitgliedern die Gelegenheit bieten, sich elegant der vielen zuschlagspflichtigen Überstunden zu entledigen. Da der vergangene Winter sehr mild war, wurde auf den meisten Baustellen durchgearbeitet. Somit konnten die vielen Überstunden der Bauarbeiter vom letzten Sommer Anfang Jahr nicht abgebaut werden.
Ein Verschieben der Auszahlung um 2 Monate sollte wohl also in erster Linie dazu dienen, das durch die Coronakrise verursachte Betriebsrisiko auf die Bauarbeiter abzuschieben. Diese würden dann wenn nötig kurzfristig «wegen Corona» zu Hause bleiben, um gleichzeitig noch schnell ihre Überstunden abbauen. Für die Angestellten würde dies aber eine beträchtliche finanzielle Einbusse bedeuten – erhalten sie doch für einen Grossteil der geleisteten Überstunden einen Zuschlag von 25%.

SBV lehnt ausgewogenen Gegenvorschlag ab 

Als konstruktiver Sozialpartner nahmen wir aber natürlich unsere Verantwortung wahr und unterbreiteten dem SBV einen ausgewogenen Gegenvorschlag zu ihrem Plan: Bei Arbeitnehmenden, die per Ende April 2020 einen Überstundensaldo aufweisen und aufgrund der Coronakrise Kurzarbeit leisten müssen, soll – vorbehältlich ihrer Zustimmung – die Differenz zwischen vollem Lohn und Kurzarbeitsentschädigung mit dem Überstundenguthaben ausgeglichen werden. Ein allfälliger Restsaldo von Überstunden wäre per Ende Juni 2020 zum Grundlohn mit einem Zuschlag von 25% zu entschädigen.
So hätten die Betroffenen während der Kurzarbeit keine Lohneinbusse, was gleichzeitig die Kaufkraft in der Schweiz stützen würde. Der SBV lehnte jedoch unseren Vorschlag ab mit der Begründung, dies mache ohne die Auszahlung «generell» zu verschieben keinen Sinn. Wir nahmen dies zur Kenntnis.

Mehr Entlassungen als erwartet 

Glücklicherweise wird die Kurzarbeit im Bauhauptgewerbe bis zum heutigen Zeitpunkt weniger benötigt als angenommen. Trotzdem schlägt die Krise auch auf den Baustellen langsam durch, und es gibt mehr Entlassungen, als ich persönlich erwartet hätte. Das ist ärgerlich und schade. Denn genau dies versuchten der Bundesrat und die Sozialpartner mit den gemeinsam erarbeiteten Lösungen zu verhindern.
Die Beweggründe der Baumeister für die Entlassungen sind nicht ganz klar, konnte doch im Bauhauptgewerbe im Gegensatz zu vielen anderen Branchen die ganze Zeit weitergearbeitet werden – unter Sicherheitsauflagen des Bundes: Zu Beginn der Krise hatte der Bund in Rekordzeit eigens eine Checkliste für Baustellen erstellt, um keinen schweizweiten Shutdown in der Baubranche riskieren.

Es braucht Kontrollen 

Die Checkliste deckt die Schwierigkeiten auf, den Gesundheitsschutz auf den Baustellen zu gewährleisten. Vor allem eine Massnahme ist auf den Baustellen schwer einzuhalten: Das Einhalten von mindestens 2 Metern Abstand zueinander auf der Baustelle und bei Gruppentransporten. Der Bund erlaubte dabei zunächst das Unterschreiten des Abstandes für maximal 15 Minuten pro Tag.
Bei Syna gingen unzählige Hinweise von besorgten Bauarbeitern ein, dass diese Massnahme auf ihren Baustellen nicht umgesetzt werde. Um den Hinweisen vor Ort nachzugehen sowie um mit den Bauarbeitern persönlich zu sprechen, besuchten wir zahlreiche Baustellen in der ganzen Schweiz. Dabei stellten wir erfreulicherweise fest, dass die Arbeitgeber nach anfänglichen Schwierigkeiten sehr bestrebt sind, die geforderten Massnahmen umzusetzen.
Damit dies so bleibt, sind regelmässige Kontrollen sehr wichtig. Die Suva setzt dafür 30 Mitarbeitende ein, um die rund 30 000 Baustellen schweizweit mit ihren Worten «intensiv» zu kontrollieren. Von «flächendeckenden Kontrollen», wie es der SBV einschätzt, kann jedoch keine Rede sein, und «intensiv» werden die Kontrollen vor allem für die rund 30 Angestellten der Suva.

Herausforderung bleibt 

Die grosse Herausforderung bleibt aber weiterhin die Auslegung und Einhaltung des 2-Meter-Abstands. Zu prüfen, ob dieser eingehalten wird, ist zugegebenermassen schwierig. Geschweige denn, ob sich die Bauemeister daran halten, die Regel nur während maximal 15 Minuten pro Tag zu unterschreiten. Was also tun?
Nun, der Bund hat es sich einfach gemacht: Inzwischen wurden die 15 Minuten klammheimlich ganz aus den Vorschriften gestrichen. Neu steht wörtlich in der Checkliste: «Der Abstand zwischen zwei Personen am Arbeitsplatz muss mindestens 2 Meter betragen. Ist dies nicht möglich, muss die Kontaktzeit möglichst kurz sein und geeignete Schutzmassnahmen müssen umgesetzt werden.»
So kann man Probleme auch lösen … Auf die Auslegung von «möglichst kurz» und «geeignete Schutzmassnahmen» bin ich ja mal gespannt …

Bleibt alle schön gesund

Guido Schluep,
Branchenleiter Bau

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