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«Viele sehen das Problem gar nicht»

Marie* ist Pflegefachfrau und Mutter von drei Kindern. Damit ist sie nicht alleine: In keinem europäischen Land gibt es so viele berufstätige junge Mütter wie in der Schweiz.

 * Marie will anonym bleiben. Sie weiss nicht, wie ihr Arbeitgeber auf den Streik reagieren wird.

«Doppelbelastet und unterbezahlt» ist unser Slogan für den Frauen*streik. Bist du davon auch betroffen?

Marie: Ja, täglich! Tagsüber kümmere ich mich um meine Jungen und mache verschiedene Hausarbeiten. Zudem arbeite ich oft nachts in der Pflege. Dann komme ich jeweils auf einen 26-Stunden-Dienst, unterbrochen von 2 Stunden Pause. Manchmal frage ich mich schon, wie ich das schaffe. Wie alle Mütter leiste ich eine grosse Arbeit, die im Ruhestand nicht anerkannt wird: Mit dem 40%-Pensum komme ich auch nur auf eine entsprechende Rente ...

Machst du die ganze Arbeit im Haus alleine? 

Auch meinem Ehepartner ist die Gleichberechtigung wichtig. Wir teilen uns die Aufgaben gerecht auf, ich koordiniere das Ganze aber. Für eine Frau mit Kindern ist das Familienmanagement wirklich herausfordernd, vergleichbar mit einem kleinen Unternehmen. Leider wird diese Erfahrung in der Berufswelt nicht anerkannt. Mütter stellen ihre Interessen oft in den Hintergrund, damit die Familie funktioniert. Ich habe den Job gewechselt, damit ich die Familie betreuen kann. Mein Partner musste sich diese Frage nicht stellen. Oft ist es die Frau, die sich zurücknimmt. Ist es nicht die Gesellschaft, die uns so steuert?

Wie könnte dieses Problem gelöst werden? 

Die zu Hause geleistete Arbeit, sollte anerkannt und auch bezahlt werden – insbesondere die Betreuung der Kinder, denn diese sind unsere Zukunft! Man hat ausgerechnet, dass der entsprechende Monatslohn bei 5800 bis 7000 Franken liegen müsste. Männer sollten sich besser am Familienleben beteiligen können und müssen. Es sollte für sie deshalb einfacher sein, Teilzeit zu arbeiten. Und sie müssten Anspruch auf einen echten Vaterschaftsurlaub haben. So könnten sie ihre Rolle auch wirklich wahrnehmen, die entsprechenden Aufgaben und Verantwortlichkeiten übernehmen und die Fähigkeiten dazu erwerben – in wirklicher Partnerschaft mit den Frauen.

Wird der Frauen*streik am 14. Juni die Situation verbessern? 

Wenn wir viele sind, hoffe ich schon, dass wir auch gehört werden. Der Streik ist ein symbolisches Mittel, um darauf hinzuweisen, dass wir uns eine andere Verteilung der Chancen wünschen als die heutige: Wir sagen «Stopp» und regen damit eine politische Debatte an.
Sogar in einem Krankenhaus ist es möglich, zu streiken. Ich habe es selbst einmal erlebt: Wir leisteten Dienst nach Vorschrift, ohne aber Patientinnen und Patienten in Gefahr zu bringen. Ich hoffe zudem, dass der Tag auch viele Männer aktiviert. Denn es ist nicht das Problem der Frauen, sondern der Gesellschaft – die sich nur weiterentwickeln kann, wenn alle gleich daran teilhaben.

Wie wirst du dich engagieren? 

Ich werde versuchen, meine Kolleginnen zu mobilisieren. Das wird aber schwierig, denn bei den Angestellten im Gesundheitswesen ist das Verständnis dafür klein. Es gibt keine Gewerkschaftskultur. Frauen sind es zudem weniger gewohnt, sich zu verteidigen, als Männer. Sie nehmen vieles einfach auf sich, sowohl bei der Arbeit als auch in der Familie. Doch irgendwann müssen wir handeln! Deshalb bin ich vor 10 Jahren Gewerkschafterin geworden.

Würdest du jungen Frauen denn überhaupt noch raten, eine Familie zu gründen? 
Ja, denn es ist ein grossartiges Erlebnis. Ich bin überzeugt, dass Mütter grossen Einfluss haben: Sie können konkrete positive Impulse zur Gleichstellung an ihre Kinder, die nächste Generation, weitergeben. Natürlich rate ich, auf den richtigen Partner zu achten, auf seine Umsichtigkeit und seine Dialogbereitschaft. Das braucht es für eine gerechte Rollenteilung und für eine Partnerschaft, in der sich alle entfalten können.

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