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Eingebettet in Europa

Seit dem 20. Jahrhundert haben im Zuge der Globalisierung die wirtschaftlichen Verflechtungen der Schweiz mit anderen Staaten deutlich zugenommen. Zwar gewinnen interkontinentale Beziehungen immer mehr an Bedeutung, doch sind noch immer unsere europäischen Nachbarländer die wichtigsten Handelspartner. Diese Internationalisierung hat auch Auswirkungen auf die Gewerkschaftsarbeit. 

Regelmässig rollen bis zu 750 Meter lange Güterzüge über die Rheinbrücke in Konstanz. Ein kleiner Teil der 180 000 Tonnen, welche SBB-Cargo täglich herumbefördert. Gleichzeitig passieren täglich 21 000 Lastwagen die Schweizer Grenzen. Unglaubliche Zahlen und ein Sinnbild unserer globalisierten Wirtschaft. 

Abhängig vom Aussenhandel

Praktisch keine wertvollen natürlichen Rohstoffe und nur wenig nutzbare Landfläche: Die Schweiz hat zur Erarbeitung ihres Wohlstandes keine andere Wahl, als sich für den Aussenhandel zu öffnen. Güter, welche im Land nicht vorhanden sind, werden importiert, weiterverarbeitet und dann wieder ins Ausland verkauft. Bereits im Mittelalter werden grosse Mengen an Getreide für die Viehproduktion eingeführt. Ab dem 18. Jahrhundert entwickeln sich in verschiedenen Regionen spezialisierte Produktionen von Fertigwaren, die für den Export bestimmt sind. So erlebt die Ostschweiz einen Aufschwung der Baumwollindustrie und in der Romandie läuft die Indienne-Produktion an. Schliesslich werden mit dem Anschluss der Schweiz an das europäische Bahnnetz und der Eröffnung des Gotthard-Tunnels 1882 weitere Grundsteine für eine offene Volkswirtschaft gelegt.

Starkes Wachstum

Im 20. Jahrhundert steigt das Handelsvolumen gewaltig an, wenn auch unregelmässig. Die beiden Weltkriege, die Weltwirtschaftskrise von 1929, das Ende des Systems fester Wechselkurse 1971 und die Ölkrisen sorgen für grosse Turbulenzen. Währenddessen entwickelt sich die Schweiz zum Exportland. Hochspezialisierte und auf den Export ausgerichtete Unternehmungen entstehen und wachsen. «Made in Switzerland» wird zum Qualitätslabel für viele Branchen, sei es die Chemie-, die Pharma- und die MEM-Industrie aber auch für den stetig wachsenden Dienstleistungssektor. Besonders wichtige Handelspartner für die hochspezialisierten Güter sind die Industriestaaten, im Speziellen die EU. Zwar gewinnen auch andere Teile der Welt, insbesondere Asien, an Bedeutung. Doch Europa ist und bleibt Handelspartner Nummer eins. Nach kurzzeitigem Rückgang infolge der Coronapandemie, verzeichnete die Schweiz 2022 im Handel mit Europa ein Rekordjahr. Waren und Dienstleistungen im Wert von über 420 Milliarden Franken wurden ausgetauscht und die Prognosen sehen ein weiteres Wachstum vor. Für den Schweizer Werkplatz sind stabile Beziehungen zu unserem europäischen Nachbar unverzichtbar.

Auswirkungen auf die Gewerkschaftsarbeit

Die stete Internationalisierung, nicht nur der Produktionsketten, sondern auch der einzelnen Unternehmungen mit Niederlassungen in verschiedensten Ländern, stellt die gewerkschaftliche Arbeit vor Herausforderungen. Denn im Vergleich zu vielen Unternehmungen sind Gewerkschaften an ihren Standort gebunden. Unternehmen sind flexibler. Empfinden sie beispielsweise den Kündigungsschutz oder das Lohnniveau als zu hoch, können sie damit drohen, ihren Produktionsstandort in ein anderes Land zu verlegen. Diese Mobilität hat das Machtverhältnis zugunsten der Arbeitgebenden verändert.

Gleiche Ideale – unterschiedliche Ziele

Ein möglicher Ansatz gegen eine solche Flucht ins Ausland wären internationale Standards im Arbeitsgesetz oder international geltende Gesamtarbeitsverträge. Doch solche sind schwierig umzusetzen. Syna-Geschäftsleiter Johann Tscherrig erläutert: «Gewerkschaften vertreten die Interessen der Arbeitnehmenden innerhalb ihrer Tätigkeitsregion. Wir diejenigen der Arbeitnehmenden in der Schweiz. Es ist in unserem wie auch im Interesse unserer Mitglieder, dass Firmen und damit Arbeitsplätze im Land bleiben und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.» Gewerkschaften befinden sich daher in einem Spannungsfeld: Wie stark können die Rechte der Arbeitnehmenden ausgebaut werden, ohne die Wettbewerbsfähigkeit des Landes oder der Region zu schwächen? «Dieser Kompromiss ist teilweise auf nationaler Ebene schon schwierig. Man kann sich nun vorstellen, wie schwierig es ist, einen gemeinsamen Nenner zwischen einer Schweizer und beispielsweise einer rumänischen Gewerkschaft zu finden. Gerade für Gewerkschaften in weniger stark entwickelten Regionen ist dieser Kompromiss besonders schwierig, sind diese doch speziell auf wirtschaftliches Wachstum angewiesen», resümiert Tscherrig. Somit ist es wenig erstaunlich, dass die politische Stärke des Europäischen Gewerkschaftsbundes auf europäischer Ebene kaum vergleichbar ist mit dem Einfluss der Mitgliederverbände auf nationaler Ebene.

Gewerkschaften nehmen folglich vorwiegend über die nationale Politik Einfluss auf die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen. So etwa bei der Aushandlung der bilateralen Verträge mit der EU. «Wir sind referendumsfähig und über diesen Hebel gelingt es uns oft, Zugeständnisse zugunsten der Arbeitnehmenden in der Schweiz zu erzielen. In den Verhandlungen zu den Bilateralen II haben wir wichtige Richtlinien zum Lohnschutz durchsetzen können. Wir sind uns der Wichtigkeit guter Beziehungen zur EU bewusst, doch werden wir auch diesmal unsere Forderungen klar machen», zeigt sich Tscherrig kämpferisch. Denn, auch wenn die Globalisierung das Machtgefüge zwischen Wirtschaft und Gewerkschaften verändert hat, bleiben diese einflussreiche Verhandlungspartner.

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