≪Zusammen für eine faire Wirtschaft, die allen zugutekommt!≫
Wir treffen Yvonne Feri (rechts), Präsidentin der Gewerkschaft Syna, an der grossen Lohndemo in Bern. Gemeinsam sprechen wir über die diesjährigen Lohnforderungen und blicken zurück auf ihr erstes Jahr als Syna-Präsidentin.
Was für eine Atmosphäre hier in Bern! Rund 15 000 Menschen haben sich zur grossen Lohndemo versammelt. Was für ein Gefühl lost das bei dir aus?
Es ist überwältigend. Die grosse Menschenmenge hier in Bern, die spürbare Energie - ein tolles Gefühl. Es erfüllt mich mit Freude und Stolz, zu sehen, wie viele Menschen sich für faire Löhne und eine gerechte Beteiligung aller Arbeitnehmenden an der Wertschöpfung, die wir alle zusammen schaffen, einsetzen. Wenn so viele Menschen für dieselben Werte und Ziele auf die Strasse gehen, entsteht ein unvergleichliches Wir-Gefühl. Das gibt immer wieder einen zusätzlichen Motivationsschub, weiter für die Anliegen der Arbeitnehmenden zu kämpfen.
≪Mehr Lohn für meine Arbeit!≫ lautet das Demomotto. Die Forderung ist also klar. In welchem Rahmen bewegen sich die diesjährigen Lohnforderungen konkret?
Obwohl die Schweizer Volkswirtschaft im Aufschwung ist, sind die Reallöhne in den letzten drei Jahren gesunken – das ist nicht akzeptabel. Die Menschen leisten hervorragende Arbeit, die auch angemessen entlohnt werden muss. Natürlich verstehen wir, dass die Situation je nach Branche unterschiedlich ist. Deshalb variieren unsere Lohnforderungen von Branche zu Branche. Doch eines gilt für alle: Der Teuerungsausgleich muss garantiert werden. Das ist angesichts der stetig steigenden Lebenshaltungskosten notwendig. Es ist schlichtweg nicht hinnehmbar, dass viele Arbeitnehmende am Ende des Monats immer weniger Geld zur Verfügung haben. Unsere Lohnforderungen liegen zwischen 2 und 4 Prozent. Das ist machbar und notwendig.
Die Stimmung zwischen Arbeitgebenden und Arbeitnehmenden scheint in letzter Zeit angespannt. Wie offen sind die Arbeitgebenden, auf die Lohnforderungen der Gewerkschaften einzugehen?
Die Situation ist komplex und lässt sich nicht einfach mit «angespannt» beschreiben. In einigen Branchen sind die Verhandlungen sehr konstruktiv. Ein Beispiel ist die Coiffeurbranche, wo wir nach intensiven Gesprächen einen neuen Gesamtarbeitsvertrag aushandeln konnten, der den Beschäftigten in den kommenden Jahren eine Lohnerhöhung von bis zu 20 Prozent sichert. Das zeigt, dass eine Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe möglich ist und echte Verbesserungen erzielt werden können. Allerdings gibt es auch schwierige Verhandlungen, wie im Bauhauptgewerbe. Hier stellt der Baumeisterverband etwa unser vom Seco abgesegnetes Vorgehen zu Rückerstattungen in frage und will eventuelle Lohnerhöhungen an diese Praxis knüpfen. Unter solchen Voraussetzungen können keine sozialpartnerschaftlichen Lohnverhandlungen geführt werden. Das Verhalten seitens des Baumeisterverbandes erschwert auch die Neuverhandlungen für den zukünftigen LMV massiv. Diese Herausforderungen sind frustrierend, aber sie verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass wir als Gewerkschaft dranbleiben und den Druck aufrechterhalten. In anderen Branchen gibt es aber auch positivere Entwicklungen. So sind etwa im Baunebengewerbe die Gespräche zwar anspruchsvoll, aber die Fronten längst nicht so verhärtet wie im Bauhauptgewerbe.
Lohnverhandlungen sind eine zentrale Aufgabe, aber doch nur ein Teil der Gewerkschaftsarbeit. Welche Themen haben dich in deinem ersten Jahr als Syna-Präsidentin besonders beschäftigt?
Mein erstes Jahr war äusserst vielfältig. Das Tagesgeschäft wird hauptsächlich von der Geschäftsleitung geführt, und in puncto Lohnverhandlungen sind es vor allem die Branchenleitenden, die den Takt angeben. Meine Aufgaben liegen eher im strategischen und kommunikativen Bereich. In enger Zusammenarbeit mit dem Vorstand habe ich mich auf die Reform der internen Strukturen von Syna konzentriert und arbeite derzeit an der Überarbeitung der Statuten. Wir haben auch die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Geschäftsleitung intensiviert, wobei ich als Bindeglied und Sparringpartnerin agiere. Darüber hinaus war der direkte Kontakt mit unseren Mitgliedern und Mitarbeitenden von grosser Bedeutung für mich. Ob bei nationalen Aktionen wie dem Frauentag und den 1. Mai-Demos oder bei Sektionsbesuchen in den Regionen – der persönliche Austausch ist zentral, um die Bedürfnisse und Anliegen direkt zu verstehen und die mir als Präsidentin entgegengebrachte Verantwortung wahrzunehmen.
Wenn du ein Highlight aus deiner bisherigen Amtszeit herausgreifen musstest, welches wäre das?
Die Arbeit in der Gewerkschaft ist so vielseitig, dass es schwerfällt, nur ein Highlight zu benennen. Was jedoch all die Momente verbindet, sind die Begegnungen mit Menschen – wie auch heute bei der Lohndemo. Diese Erlebnisse sind für mich besonders wertvoll, da sie den starken Zusammenhalt bei Syna und das Engagement unserer Mitglieder sichtbar machen.
Wagen wir abschliessend noch einen Blick in die Zukunft: Welche Schlagzeile wurdest du in deinem zweiten Amtsjahr am liebsten in der Zeitung lesen?
Wenn ich mir eine wünschen dürfte, wäre es: «Gewerkschaften im Aufschwung – Syna wächst und hat ihre Mitgliederzahl um 20 Prozent erhöht!» Das wäre ein wichtiges Zeichen dafür, dass unsere Arbeit anerkannt wird und immer mehr Menschen überzeugt. Eine grössere Mitgliederzahl bedeutet eine stärkere Stimme und mehr Möglichkeiten, die Rechte der Arbeitnehmenden zu vertreten und durchzusetzen. Wie unser Slogan deutlich sagt: Zusammen sind wir stark. Das zeigt sich auch heute hier in Bern einmal mehr.