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Flüchtlinge als Pflegehilfskräfte: Erfolgsstory oder Ausbeutung?

Eine Mini-Ausbildung für Pflegehilfskräfte wirkt auf den ersten Blick wie ein gutes Mittel gegen den Personalmangel und die Integration von Flüchtlingen. Dies wäre eigentlich eine Win-Win-Situation, wären da nicht die schlechten Arbeitsbedingungen und der Mangel an beruflicher Perspektive.

Wenn wir von der Pflege sprechen, denken wir oftmals an eine Frau, meistens eine Schweizerin mittleren Alters in hellgrüner Bekleidung. Selten denken wir an eine junge Frau, die aus Eritrea oder Tibet geflüchtet ist und keine in der Schweiz gültige Ausbildung hat. Die Realität in der Schweiz ist aber so, dass gerade in den Altersheimen der Teil der unqualifizierten Arbeitnehmer/-innen essentiell ist und ohne diese Arbeitskraft heute kein einziges Altersheim mehr funktionieren könnte. Dasselbe gilt für die Spitex-Dienste. Und für die Spitäler, zählt man die Hilfskräfte in der Küche und in der Reinigung auch dazu.

 Kaum Möglichkeiten

Als Flüchtling mit unsicherem Aufenthaltsstatus hat man heute auf dem Arbeitsmarkt keine Chancen mehr. Welchem Beruf soll man nachgehen? Die Fabrikarbeit gibt es praktisch nicht mehr, denn ein Grossteil der Schweizer Industrie wurde ins Ausland verkauft und die hiesigen Produktionsstätten geschlossen. Somit bleiben für die Immigrant/-innen nur noch wenige Jobs übrig: Tellerwäscher, Putzfrau, Uber-Fahrer. Und die Pflege im Altersheim? Das Schweizerische Rote Kreuz hat ein Kursprogramm entwickelt, wonach in der Schweiz wohnhafte Personen nach nur drei Monaten schon arbeiten können – also auch Flüchtlinge.

In einem Dokumentarfilm vom SRF zeigen sich die Kursleitenden sehr stolz auf das erfolgreiche Projekt. Nach dem Praktikumsteil des Kurses hätten schon fünf Teilnehmer/-innen eine Festanstellung in einem Altersheim bekommen. Auch ein Bewohner äussert sich lobend zum kurdischen Flüchtling und Pflegehelfer, der ihm gerade ein Glas Rotwein serviert: «Ja, wären alle, die kommen, so wie er. Dann hätten wir keine Probleme!» Also dann ist doch alles gut? Eine Win-Win-Situation?

 Prekäre Arbeitsrealitäten

Doch verschwiegen wird die soziale Prekarität hinter dieser Arbeitsrealität: Die Pflegehelfer/-innen haben mit Abstand die tiefsten Löhne im gesamten Gesundheitssektor. Für ein Gehalt von ca. 4000.00 Fr. brutto müssen sie in einem 24-Stunden-Betrieb arbeiten, das heisst: Schichtarbeit und Dienste am Wochenende und an Feiertagen gehören zur Normalität. Es gibt sogar Altersheime, die weniger als 4000.00 Fr. zahlen, andere wiederum bezahlen vielleicht 200.00 Fr. mehr. Doch das Problem ist strukturell. Das Beispiel eines tibetischen Flüchtlings, der als Pflegehelfer in der Demenz-Abteilung eines Altersheims arbeitet, zeigt es deutlich: Seit fünf Jahren verdient er denselben Lohn, arbeitet ohne Ausbildung oder besondere Weiterbildung zum Thema Demenz. Nach einem höheren Lohn zu fragen traut er sich nicht. Menschen wie er sind so abhängig von ihrer Arbeitsstelle, dass sie es nie wagen würden, Forderungen zu stellen.

Das heisst: Ein Altersheim kann eine erwachsene Person als Pflegehelfer/-in einstellen und diese Person dann zum selben Lohn auf derselben niedrigen Position jahrzehntelang ausbeuten ohne ihnen die Möglichkeiten zu geben, die Lehre und somit eine Erstausbildung nachzuholen. Besonders hart trifft dies geflüchtete Menschen: Sie müssen hier bei null anfangen und sind so in der schwächeren Position, wenn es um das Einfordern ihrer Rechte und Chancen geht. Häufig kennen sie das Arbeitsgesetz nicht und falls doch, dann trauen sie sich nicht, den Mund aufzumachen. Wohin sollten sie denn gehen, falls sie entlassen würden? Welche Stellen wären für sie verfügbar?

 

Der Gesundheitssektor ist Service Public

Die Schweiz versucht den herrschenden Pflegenotstand mit billiger Arbeitskraft zu vertuschen. Deshalb müssen wir weiterhin fordern, dass die systematischen Probleme in dieser Branche endlich gelöst werden: mit einer neuen politischen Richtung! Erst wenn wir verstehen, dass der Gesundheitssektor zum Service Public und wieder in die öffentliche Hand gehört, werden sich die Arbeitsbedingungen für das gesamte Gesundheitspersonal verbessern – und letztlich auch für die Flüchtlinge. Haben nicht auch sie ein Anrecht darauf, in diesem Land eine faire Chance zu erhalten anstatt als billige Arbeitskräfte ausgenutzt zu werden?

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