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«Gewerkschaften sind sehr wichtig für die Integration»

Als Seconda kennt Selina Tribbia, Leiterin der Fachstelle Migration bei Syna, die Herausforderungen, denen Migrant/-innen in der Arbeitswelt begegnen. Im Interview erklärt sie, wie Gewerkschaften diese Menschen unterstützen.

Du bist Leiterin der Fachstelle Migration bei Syna. Was tust du genau?

Selina Tribbia: Als Leiterin der Fachstelle Migration koordiniere ich die Migrationskommission auf nationaler Ebene. Ich vernetze die Mitglieder und unterstütze die Regionen in der Umsetzung der Projekte für ausländische Mitglieder, zum Beispiel auch Bildungs- und Informationsveranstaltungen. Ich bereite Informationen betreffend Arbeitsrecht und zum Ausländer- und Integrationsgesetz für unsere Mitglieder auf und stelle es den Regionalsekretariaten zur Verfügung. Zudem leite ich die Anliegen und Probleme unserer ausländischen Mitglieder in die zentralen Gremien weiter, damit gemeinsam Lösungen erarbeitet werden können.
Ausserdem mache ich auch Kampagnen oder beantrage, dass Syna bei einer bestimmten Kampagne mitmacht. Ein Beispiel hierfür ist die Konzernverantwortungsinitiative: Syna ist auf meinen Antrag hin im Unterstützerkomitee. Gemeinsam mit anderen Gewerkschaften und Dachverbänden haben wir ein Arbeitnehmendenkomitee gegründet. Ein anderes Beispiel ist die Begrenzungsinitiative. Da haben wir in der Migrationskommission schon sehr früh, schon vor einem Jahr, ein Positionspapier verabschiedet. Bei der Masseneinwanderungsinitiative hatte es etwas Unmut gegeben, wir hätten nicht genügend mobilisiert und uns zu wenig gegen diese fremdenfeindliche Initiative eingesetzt. Dieses Mal wollten wir es besser machen. Deshalb haben wir uns bewusst früh positioniert und einen Schwerpunkt gesetzt, der in der öffentlichen Diskussion sonst weniger betont wird: Uns geht es um den sozialen Zusammenhalt. Das ist keine rein arbeitsmarktbezogene Argumentation, sondern auch eine gesellschaftliche Positionierung.

Was motiviert dich für diesen Job?

Was ich ganz spannend finde: Der Kontakt mit den Mitgliedern. Ich bin selbst Seconda und weiss, wie es für meine Eltern war, wie es für mich war. Ich weiss, wie die Arbeits- und Lebensrealität meiner Eltern aussah. Ich möchte diese Erfahrung weitergeben. Aber ich sehe auch, dass sich seither Einiges geändert hat, es sind ja auch mehrere Jahrzehnte dazwischen.
Ausserdem haben mich verschiedene Kulturen schon immer interessiert. Als Sozialarbeiterin finde ich zudem die Migrationskommission sehr spannend: Der Fokus liegt hier auf der Gruppe und nicht auf dem Individuum. Es ist spannend, diese Dynamik mitzuerleben und zu sehen, wie sich das entwickelt.

An welches Erlebnis denkst du besonders gerne zurück?

Ein besonders schöner Moment war die Unterschriftensammlung für den Vaterschaftsurlaub, für die ich auch unsere ausländischen Mitglieder mobilisieren konnte. Migrantinnen und Migranten haben oft kein Stimmrecht, da sie nicht eingebürgert sind. Dass sie trotzdem geholfen haben, Unterschriften zu sammeln, ist sehr schön. Auch, weil die direkte Demokratie für sie keine Selbstverständlichkeit ist, sie kennen das aus ihren Herkunftsländern nicht. Auch war es für sie eine doppelte Herausforderung: Mit gebrochenem Deutsch Leute ansprechen ist nicht immer einfach und die Reaktionen der Leute waren nicht immer positiv.

Gab es auch komische Erlebnisse?

Komisch, na ja… Was mir aber immer wieder begegnet: Unsere Mitglieder mit Migrationshintergrund hören oft den Vorwurf: «Lern besser Deutsch bevor du den Mund aufmachst». Dieses Vorurteil kommt wirklich oft, dass sie gar nicht Deutsch lernen wollen. Was diese Leute nicht verstehen: Unsere Mitglieder mit Migrationshintergrund sind in der Arbeitswelt integriert, sie sind immer mit Leuten in Kontakt, mit ihren Kolleginnen, Mitarbeitenden oder Nachbarn. Und einige Arbeitgeber platzieren Angestellte, die aus denselben Ländern kommen, oft zusammen in Arbeitsgruppen, was das Erlernen der Sprache natürlich auch erschwert. Es gibt einige, die nach Feierabend noch Deutsch lernen, aber nicht alle haben die Zeit und die Energie dafür. Gerade wenn man noch Familienpflichten hat, oder einen Beruf mit unregelmässigen Arbeitszeiten! Und vielleicht versteht ja jemand die Sprache sehr gut, ist aber mündlich weniger gut, oder die Person ist vielleicht noch nicht so lange in der Schweiz. Das sieht man den Leuten nicht an. Solche Aussagen sind schlichtweg unangebracht.

«Es geht vergessen, welche Dynamik in Gewerkschaften entstehen kann.»

Selina Tribbia
Was wünschst du dir für die Gewerkschaft, für deine Arbeit?

Gewerkschaften sind wichtige Organisationen für die Integration. Seit ich die Stelle angetreten habe beobachte ich einen extremen Zuwachs bei den Mitgliedern mit Migrationshintergrund. Dies liegt vor allem an den Regionalsekretariaten, die den Migrantinnen und Migranten viel Unterstützung bieten, ihnen helfen und erklären, wie unser Sozialsystem und die Arbeitswelt funktionieren, die Steuern und die Schulen. Vor allem am Anfang, nach der Ankunft in der Schweiz, sind unsere Regionalsekretariate wichtige Anlaufstellen. Auch, weil viele aus ihrer Heimat Gewerkschaften kennen und wissen, dass sie da Unterstützung bekommen.
Was ich mir wünschen würde ist, dass wir – die Gewerkschaften – dafür mehr Anerkennung erhielten. Den Integrationsbehörden der Kantone ist zu wenig bekannt, welchen Beitrag wir speziell für Migrant/-innen leisten und beziehen uns auch deshalb zu wenig ein. Es geht vergessen, welche Dynamik in Gewerkschaften entstehen kann. Es liegt im öffentlichen Interesse, dass die Integration von Migrant/-innen gut funktioniert.

Diese Bedeutung der Gewerkschaften für Migrant/-innen, ist das ein neues Phänomen?

Im Gegenteil. Die ersten ausländischen Sektionen gab es bereits in den 1960er Jahren, Migrant/-innengruppen, die sich für ihre Interessen innerhalb der Gewerkschaft einsetzten. Das Verhältnis von Gewerkschaften und ausländischen Arbeitnehmenden war aber nicht immer einfach. Das sieht man zum Beispiel in den 1970er Jahren mit der Schwarzenbach-Initiative. Diese wurde denn auch von anderen Gewerkschafts-Dachverbänden unterstützt – die ausländischen Arbeitnehmenden wurden als direkte Konkurrenz wahrgenommen. Syna und ihre Vorgängerorganisationen hingegen haben sich schon damals gegen diese Auffassung gewehrt.
In den 1950er und -60er-Jahren hat man ausländische Arbeitskräfte in die Schweiz geholt, sich durch sie und ihre Arbeit bereichert, hat ihnen aber kein Bleiberecht eingeräumt. So nach der Devise: Nur nehmen und nichts geben. Aus diesem Grund wehren wir uns auch gegen den Begriff Gastarbeiter: Das ist verkürzt, die Realität geht darüber hinaus. Diese Menschen bringen viel, leben hier, zahlen in die Sozialwerke ein, ihre Kinder gehen hier zur Schule.


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