Skip to main content

«Mir wurde nicht beigebracht, Nein zu sagen»

Shewit musste in ihrem Leben einige Hürden überwinden. Dabei hat sie gelernt, sich zu wehren. Sie schätzt es, als Frau ihre Meinung sagen zu dürfen und weiss, wie sich die Schweiz in Sachen Gleichstellung noch entwickeln kann.

«Für Änderungen sollten wir alle aufstehen!»
Shewit (23), Pflegeangestellte in Ausbildung

Die 23-jährige Shewit ist mit ihrer Familie aus Eritrea in die Schweiz gekommen. Sie absolviert zurzeit eine 3-jährige Lehre im Pflegebereich.

Wieso hast du dich für die Pflege entschieden?

Shewit: Ich liebe ältere Menschen. Schon in Eritrea habe ich mich lieber mit ihnen unterhalten als mit Gleichaltrigen. Meine Lehrerin hat mir deshalb diese Ausbildung vorgeschlagen. Ich kannte den Beruf gar nicht, denn in Eritrea werden die älteren Menschen von den Familien betreut.

Was hast du vor der Lehre gemacht? 

Als ich mit 17 in die Schweiz kam, war ich sehr glücklich, weil mir so viele Möglichkeiten offenstanden. Wäre ich in Eritrea geblieben, hätte ich sehr wahrscheinlich geheiratet und Kinder bekommen. Mir war damals aber nicht bewusst, wie viele Hindernisse noch auf mich zukommen würden. Die ersten zweieinhalb Jahre hatte ich keine Aufenthaltsbewilligung. Das war sehr beunruhigend, weil ich ausser Deutsch lernen nichts tun konnte. Als ich dann einen Ausweis bekam, freute ich mich sehr – bis ich realisierte, dass es der falsche war. Als «vorläufig Aufgenommene» wollte mir niemand eine Lehrstelle anbieten. Nicht einmal ein Handyabo durfte ich abschliessen. Auf einmal war eine Wand vor mir.

Und wie ging es weiter? 

Ich durfte schliesslich in einem Altersheim schnuppern. Dort fand man mich aber zu scheu. Dabei habe ich mich nur so verhalten, wie es Frauen in meinem Land gegenüber älteren Menschen tun. Danach absolvierte ich drei Praktika, bevor ich die verkürzte Lehre beginnen durfte. Eigentlich wollte ich direkt die 3-jährige Lehre machen. Das wurde mir aber nicht zugetraut. Im Nachhinein hat meine Vorgesetze eingesehen, dass ich es geschafft hätte: Denn ich habe mit der zweitbesten Note des Kantons abgeschlossen.

Bist du zufrieden mit deinen Arbeitsbedingungen? 

Nein, ich werde nicht genügend betreut. Ich fühle mich nicht als Lernende, sondern als billige Arbeitskraft. Wir sind oft viele Lernende und Praktikantinnen auf nur eine Diplomierte. Ich habe nach einer Lösung gesucht, mit allen gesprochen. Aber es ändert sich nichts. Ich habe grosse Zukunftssorgen, weil ich nach der Lehre die Tagesverantwortung übernehmen muss. Meine Vorgesetzten meinen, ich solle Überstunden machen, wenn ich etwas lernen wolle. Aber dazu bin ich nicht bereit.

Bist du die Einzige, die das Problem anspricht? 
Ja, die Anderen nehmen es hin und hoffen, dass es sich bald ändert. Das verstehe ich nicht. Mir wurde auch nicht beigebracht, Nein zu sagen. In Eritrea wirst du als Mädchen zum Jasagen erzogen. In dieser Hinsicht haben die Frauen in der Schweiz mehr Macht. Hier dürfen auch Frauen ihre Meinung äussern, ohne als unanständig zu gelten.

Sind für dich in der Schweizer Gesellschaft Frauen und Männer gleichberechtigt?

Das dachte ich zu Beginn, weil man hier viele Frauen in der Öffentlichkeit sieht, sogar als Tramfahrerinnen. Wenn man genau hinblickt, sieht man, dass Gleichstellung auch hier nur auf dem Papier existiert. Ich kann den gleichen Job machen wie ein Mann, doch am Ende des Monats kriegt er mehr Lohn als ich. Und warum verdienen Tierpfleger viel mehr als wir, die Menschen pflegen? Das ist ein Job mit den gleichen Aufgaben und derselben Verantwortung. Der einzige Unterschied: In der Tierpflege arbeiten mehrheitlich Männer. Oder warum werden für Chefpositionen Männer bevorzugt? Das ist doch Blödsinn! 

Wird der Streik daran etwas ändern? 

Ich weiss nicht, ob es reicht. Es braucht grundsätzlich mehr Solidarität. Im Pflegeberuf zum Beispiel jammern wir nur unter uns. Aber niemand geht zur Chefin und sagt, was Sache ist. Würden wir zusammenhalten, dann müssten sie auf uns hören.

Wirst du streiken? 

Ja! Für Änderungen sollten wir alle aufstehen. Alle Frauen sollen an den Frauen*streik kommen!

Ähnliche Beiträge

Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Weitere Informationen Ablehnen Akzeptieren