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Ein Jahr im Zeichen der Gleichstellung

Wie eine Kindheit in Ostdeutschland das Selbstverständnis der berufstätigen Frau prägt und warum die Schweiz in Sachen Gleichstellung hinterher hinkt? Kommentar von Mandy Zeckra, Leiterin der Syna-Fachstelle für Gleichstellung.

Meine Kindheit und Jugend habe ich in den 1980er- und 90er-Jahren in Ost-Berlin verbracht. Aus heutiger Sicht war es eine weltpolitisch unglaublich spannende Zeit. Für mich damals war es eine Zeit voller Fragen und Veränderungen: Familienmitglieder, die vor der Wende die Flucht aus der Heimat ergriffen, Existenzängste um die sicheren Jobs meiner Eltern.
Doch eines war in dieser Zeit nie in Frage gestellt: Die Berufstätigkeit der Frau. Meine Oma, meine Mutter, die Omas und Mütter meiner Freundinnen und Freunde – alle haben sie gearbeitet, Vollzeit. Sie waren tätig im sozialen Bereich, in technischen Berufen, in der Fabrik. Niemand wäre auf die Idee gekommen, dass sich an diesem Selbstverständnis etwas verändern könnte.  

Gesellschaftlicher Wandel 

1989 lag die Vollzeiterwerbsquote von Frauen in der DDR bei 91%, die Unterschiede bei den Renten zwischen den Geschlechtern war minimal. Nach der Wende ging man davon aus, dass die Erwerbstätigkeit der Frauen in Ostdeutschland nun sinken und sich genauso wie der Lebensstandard an die westliche Wohlstandsgesellschaft angleichen würde. Doch das Gegenteil war der Fall: Die Erwerbsquote von Frauen im «Westen» stieg viel stärker, als die Erwerbsquote im «Osten» fiel. Und dies nicht nur, weil gut ausgebildete und mobile weibliche Fachkräfte ganz Deutschland (und auch ein wenig die Schweiz) eroberten. Sondern vielmehr, weil ein gesellschaftlicher Wandel stattfand, der die Familien- und Frauenpolitik in Zugzwang brachte.

Schweiz hinkt hinterher 

Umbrüche wie Kriege, Wirtschaftskrisen oder eben die Wendezeit in Deutschland treiben den gesellschaftlichen Wandel stets voran. Was passiert, wenn solche Umbrüche ausbleiben, kann man in der Schweiz an den nur langsamen Fortschritten bei der Vertretung von Frauen in Politik und Wirtschaft ablesen.
Nicht zuletzt darum war die Schweiz eines der Schlusslichter in Europa bei der Einführung des Frauenstimmrechts vor 50 Jahren. Darum gibt es nach wie vor zu wenig weibliche Führungskräfte. Und darum ist auch der Anteil berufstätiger Frauen mit Vollzeitpensen so klein. Frauen bleiben maximal «Zuverdienende», solange das Steueramt die Rückerstattung von Steuern auf das Konto des Ehemannes überweist – selbst, wenn die Frau die Hauptverdienende der Familie ist.
Es sind tief verankerte Bilder in den Köpfen der Menschen und den Strukturen unserer Arbeits- und Lebenswelt, die aufgebrochen werden müssen!

Es braucht Frauen und Männer 

Als Syna wollen wir auf politischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für eine progressive und aktive Gleichstellungspolitik stehen, die wir in allen Branchen und Themen mitdenken und gestalten. Nur so entsteht Zugzwang. Nur so schaffen wir echte Wahlfreiheit für Männer und Frauen, die sich der Familie widmen möchten, bekämpfen den Fachkräftemangel durch die Nutzung der produktiven Kraft von Frauen, schaffen Lohngerechtigkeit und überwinden die prekären Arbeitsbedingungen im Niedriglohnbereich.

Und wen brauchen wir dafür? Männer, die das Gleichstellungsthema nicht auf die Frauen abschieben, sondern für sich selbst erkennen wollen, warum das Thema Gleichstellung für sie, ihre Arbeit und ihr Umfeld wichtig ist und welchen Beitrag sie selbst leisten können.
Und wir brauchen Frauen, die in ihrem direkten Lebens- und Arbeitsumfeld ihre Bedürfnisse äussern, Forderungen stellen, Verantwortung übernehmen und andere Frauen motivieren, es ihnen gleich zu tun.

Es ist also an uns allen – egal welchen Geschlechts, egal ob Mitglied oder Mitarbeitende, in diesem 50. Jubiläumsjahr des Frauenstimmrechts unsere Kräfte für die Gleichstellung zu bündeln, um endlich voranzukommen.

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