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«Im Verkauf musst du viel auf dich nehmen»

Egzona kam mit drei Jahren vom Kosovo in die Schweiz. Sie hat eine Lehre als Lebensmitteltechnologin gemacht und arbeitet seither im Detailhandel – mit guten und schlechten Erfahrungen.

Egzona, was bedeutet Arbeit für dich?

Seit ich 15 bin, arbeite ich, ohne jemals arbeitslos gewesen zu sein. Bis vor kurzem war die Arbeit mein Hobby. Für mein Rayon habe ich alles gemacht – es hat immer gut ausgesehen, nichts hat gefehlt. Die Reklamationen waren selten, und falls mal jemand reklamiert hat, habe ich der Kundin oder dem Kunden einen Grund gegeben, wiederzukommen. Ich habe nur gearbeitet.
Das liegt in der Familie: Wir können nicht einfach zu Hause faulenzen und nichts tun. Wir brauchen den Rhythmus der Arbeit. Selbst wenn ich Kinder hätte, würde ich weiter arbeiten, wie es meine Mutter schon getan hat. Diese Freiheit brauche ich. Davon kann mich niemand abhalten. Denn Arbeit gibt mir Sinn im Leben und ein Selbstbewusstsein, das ich als Hausfrau nicht hätte.

Was ist mit Freizeit?

Freunde oder andere Interessen habe ich jahrelang vernachlässigt, damit es im Job funktionierte. Das mache ich jetzt nicht mehr.

Wie kam es dazu?

Ich habe den Fehler gemacht und anfangs gesagt, dass sie mich immer anrufen können. Als polyvalente Verkäuferin bist du überall einsetzbar. So wurde ich ständig, auch nach Feierabend, noch angerufen. Häufig bin ich für andere eingesprungen und habe etliche Überstunden geleistet. Das ging so weit, dass ich meine Familie und Freunde über längere Zeit vernachlässigte.
Als Rayonleiterin sorgte ich immer dafür, dass es meinem Team gut ging, dass alle zufrieden waren und sich weiterentwickeln konnten. Dabei vergass ich mich selber. Ich bin so: Wenn ich helfen kann, dann helfe ich. Selber wurde ich jedoch von der Filialleitung nicht unterstützt. Im Gegenteil, sie machte mir das Leben schwer.

Hast du dich deswegen an die Gewerkschaft Syna gewandt?

Ja, mein Vater hat mir dazu geraten. Ich war am Ende und wusste nicht weiter, da ich noch nie Probleme bei der Arbeit hatte. Es kam alles so plötzlich. Ich musste wissen, was meine Rechte sind, was geht und was nicht. Also habe ich bei Syna angerufen. Die Regionalsekretärin hörte mir zu und half mir. Sie ermutigte mich, mich zu wehren – und sagte mir, wie ich das tun kann. Dafür werde ich ihr immer dankbar sein. Ohne ihre Begleitung in dieser schwierigen Situation wäre es nicht gut gekommen.

Ist es nur dir so ergangen oder auch anderen?

Weil ich Rayonleiterin war, kamen die anderen häufig zu mir und vertrauten sich mir an. Es gibt viele, die unter der Art und Weise leiden, wie die Filialleitung mit ihnen umgeht. Nur sprechen sie nicht darüber, weil sie älter sind und Angst haben, den Job zu verlieren. Das wirkt sich auf den Rest des Teams aus, sorgt für schlechte Stimmung. Die Leute sprechen nicht miteinander sondern übereinander. Ich fühlte mich häufig nicht ernst genommen als Abteilungsleiterin. Vielleicht liegt es daran, dass ich Ausländerin bin oder jünger bin und einen höheren Posten habe, oder die Lehre nicht im Verkauf gemacht habe, keine Ahnung.
Im Verkauf musst du viel auf dich nehmen und viel verzichten. Immer Rücksicht auf die Kunden nehmen. Der Kunde ist ja König…

Wie verhalten sich denn die Kund/-innen?

Gewisse Kundinnen und Kunden haben keine Geduld, ticken gleich aus und wollen dann die Vorgesetzten sprechen. Ich habe mir schon viel anhören müssen und wurde schon oft beleidigt. Das Schlimmste ist, wenn jemand reklamiert, weil etwas fehlt und du nichts dafür kannst. Noch übler wird es, wenn sie auf dein Namensschild schauen und sagen, dass du als Ausländerin eh keine Ahnung hast und nach Hause gehen solltest. Am liebsten würde ich das Namensschild nicht tragen. Es geht niemanden etwas an, woher ich ursprünglich bin. Eigentlich dürftest du dich wehren. Aber wenn die Filialleitung nicht hinter dir steht, wird es schwierig.
Natürlich gibt es aber auch immer wieder schöne Erlebnisse mit Kundinnen, die deine Arbeit schätzen. Gewisse haben mir sogar schon Weihnachtsgeschenke gegeben, das hat mich sehr berührt.

Was machst du jetzt anders als vorher?

Ich habe wieder angefangen, zu trainieren und treffe ab und zu Freundinnen. Und vor allem sehe ich meine Familie wieder öfter. Mittlerweile kenne ich auch den Arbeitsvertrag auswendig. Das ist wichtig, weil ich mich nun wehren kann, wenn etwas nicht eingehalten wird.

Was müsste sich verändern, damit du wieder gerne zur Arbeit gehst? 

Im Verkauf müsste sich vieles verändern. Die Arbeitszeiten müssten endlich eingehalten werden, und die Ferienaufteilung müsste fair für alle sein. Grundsätzlich sollte es ein Geben und ein Nehmen sein.
Die Filialleitung sollte ihre Vorbildfunktion wahrnehmen und anständig im Umgang mit ihren Angestellten bleiben. Wenn es zu Problemen kommt, müssen sie zuerst das Gespräch mit der betroffenen Person suchen.

Dann müsste der Lohn besser sein. Für das, was wir leisten und uns oft anhören müssen, ist der Lohn echt katastrophal. Und gerecht müsste der Lohn natürlich sein.
Bei einer Stelle habe ich mal weniger verdient als ein Kollege, der in meinem Team gearbeitet hat. Ich hatte die ganze Verantwortung für ihn und seine Arbeit und sollte weniger verdienen? Das macht doch keinen Sinn. Frauen haben es sowieso schon nicht einfach: Neben der Arbeit ziehen sie noch die Kinder gross und schmeissen den Haushalt. Dann müssen wir auch noch beim Lohn untendurch, das ist einfach nicht fair.

Und vor allem braucht es Kontrollen. Ein Vertrag bringt nichts, wenn er nicht kontrolliert wird. So wie ihr das macht, wenn ihr bei Lidl und Coop zu Besuch seid. Es ist wichtig, dass ihr Bescheid wisst über unsere Arbeitsbedingungen. Deshalb bin ich vor kurzem an eine Branchenkonferenz von Syna gekommen. Dort konnte ich mein Wissen und Erfahrung vom Verkauf einbringen. Das war voll spannend. Zusammen können wir vielleicht etwas bewegen, dafür sorgen, dass es den Verkäufer/-innen besser geht.

Und was machst du am 8. März, am internationalen Tag der Frau? 

Wir Frauen aus der Familie gehen jedes Jahr zusammen an ein Fest mit Live-Musik und verbringen so den Tag zusammen.

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