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«Politisch hat sich nichts verändert»

Die Schweiz ist familienpolitisch ein Entwicklungsland. Valérie Borioli Sandoz, Leiterin Gleichstellungspolitik bei Travail.Suisse, erklärt im Interview, warum das so ist und was dagegen hilft.

Valérie, deine Kinder sind schon erwachsen. Was hat sich verbessert in den vergangenen 20 Jahren? 

Leider viel zu wenig. Vor 20 Jahren war ich mit meinem Familienmodell eine Exotin, ok. Aber dass sich erwerbstätige Frauen heute noch immer rechtfertigen müssen, ist katastrophal. Und gleichzeitig feiert man Männer mit Teilzeitpensen wie Helden. Es muss noch viel passieren in den Köpfen.

Aber politisch hat sich doch einiges verändert? 
Nicht wirklich. Wir haben noch immer läppische 14 Wochen Mutterschaftsurlaub. Vielen Frauen wird nach ihrem Wiedereinstieg gekündigt. Ein Vaterschaftsurlaub von 2 Wochen wird per Referendum bekämpft, und eine Elternzeit ist in der Schweiz reines Wunschdenken. Es gibt zu wenige Krippenplätze, und auch für Personen, die ihre pflegebedürftigen Eltern betreuen, gibt es nichts.
Frauen sind schon seit Jahren mindestens gleich gut qualifiziert wie die Männer und die meisten von ihnen sind auch erwerbstätig – doch mehrheitlich im niederen Teilzeitbereich. Das ist unglaublich schade und eine Folge der fehlenden Infrastruktur für Familien.

«Dass sich erwerbstätige Frauen heute noch immer
rechtfertigen müssen, ist katastrophal.»

Valerie Borioli Sandoz

Was muss denn konkret geschehen? 

Die Politik muss erkennen, dass Familie nicht länger Privatsache bleiben darf. Der Bedarf an familienergänzenden Betreuungsstrukturen für Kinder und für kranke und älter werdende Angehörige nimmt stetig zu.
Die Unternehmen fordern immer lauter, dass Frauen sich mehr im Erwerbsleben engagieren sollen. Doch ohne Investitionen in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann das nicht funktionieren. Heute tragen alleine die Frauen die Last der Vereinbarkeit – das ist schlicht inakzeptabel.

Was macht Travail.Suisse, um das zu ändern? 

Wir setzen uns für unseren Aktionsplan Vereinbarkeit ein. In den kommenden 10 Jahren braucht es 5 Milliarden Franken, um die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Das tönt zwar nach viel. Aber zum Vergleich: 2019 scheint die Schweiz einen Überschuss von 2,7 Milliarden Franken zu verbuchen – da sind 500 Millionen für die Vereinbarkeit doch das Mindeste.

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