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«Wir machen die schwerste Arbeit»

Lourdes D. arbeitet seit über 10 Jahren als Pflegeassistentin. Ihr Beruf ist körperlich und seelisch sehr anspruchsvoll, die Entlöhnung dafür aber alles andere als gut.

 Von 2009 bis 2018 arbeitete Lourdes D. für die Spitex, seither ist sie teilzeit in einem Altersheim in Basel angestellt. Im Interview erzählt sie uns von ihrer Arbeit.

Ist es richtig, dass der Besuch eines Kurses vom Schweizerischen Roten Kreuz genügt, um als Pflegeassistent/-in zu arbeiten?

Lourdes: Genau. Doch wir Pflegeassistent/-innen machen die schwerste Arbeit. Wir kümmern uns rein um die Pflege, wir waschen die Bewohnenden, ziehen sie an, tragen sie vom Bett in den Rollstuhl und vieles mehr. Sobald die Glocke läutet, springen wir. Wir müssen die notwendigen Bedürfnisse, aber auch die kleinen und grossen Wünsche der Bewohnenden erfüllen.
Diesen Job kannst du nicht im 100%-Pensum machen, sonst gehst du kaputt nach 1 bis 2 Jahren. Wir hatten schon unglaublich viele krankheitsbedingte Absenzen. Ich nehme an, weil die Kolleginnen und Kollegen total erschöpft waren. Verglichen mit der körperlichen und geistigen Anstrengung ist die Bezahlung katastrophal.

Was müsste sich in deinem Beruf verändern? 

Der Lohn muss sich verbessern, und auch die Arbeitszeiten. Zum Beispiel sollten die 15 Minuten, die man zur Vorbereitung auf die Schicht braucht, als Arbeitszeit gelten. Aber vor allem brauchen wir mehr Zeit! Wir betreuen 4 bis 6 Bewohnerinnen und Bewohner innerhalb von 3 Stunden. Die Zeit reicht oft nicht, weil viele davon sehr bedürftig sind. Das sind ältere Menschen, die am Ende des Lebens stehen – sie brauchen Zeit und Geduld. Da können wir doch nicht eine Person stressen, sich schnell anzuziehen! Aber das müssen wir, denn wir stehen unter Druck. Dadurch entsteht auch ein Konkurrenzkampf unter dem Personal.
Zudem brauchen wir mehr Weiterbildung und Möglichkeiten, die Pflegetechniken aufzufrischen, damit wir in unserer täglichen Arbeit nicht in eine Monotonie und falschen Automatismus geraten. Der Umgang vom ganzen Pflegepersonal mit den Bewohnenden sollte immer wieder geprüft und verbessert werden.

Was schätzt du an deiner Arbeit? 

Ich schätze den Kontakt zu den älteren Menschen und vor allem die Gespräche, die ich mit ihnen führe. Dafür braucht es aber Zeit, und daran mangelt es uns wirklich. Die Wertschätzung spüren wir vor allem von den Bewohnenden und ihren Angehörigen. Als ich noch bei der Spitex gearbeitet habe, habe ich eine ältere sehr kranke Person mit Herz und Seele gepflegt. Nach dem Tod haben sich die Angehörigen bei mir bedankt. Das berührt mich. Aber von der Leitung fehlt die Wertschätzung…

Wie meinst du das? 

Wenn ich morgens zur Arbeit komme, dann habe ich das Bedürfnis, von der Pflegeleiterin ein Lächeln zu sehen. Das Lächeln gibt Kraft und drückt Dankbarkeit aus, dass wir da sind, um unsere Arbeit zu machen. Das fehlt. Das Beste was wir Menschen besitzen, ist unser Lächeln, es strahlt positive Energie aus!
In der jetzigen Zeit, wo wir Masken tragen müssen, macht es mich traurig, dass ich den Bewohnenden nicht mal mehr mein Lächeln zeigen kann; und sie verstehen mich auch nicht, wenn ich mit ihnen spreche…

Wie hast du die Coronakrise erlebt? 

Ich finde es besonders traurig, mitanzusehen, wie es vor allem den dementen Bewohnerinnen und Bewohner Tag für Tag schlechter geht. Sie konnten nicht einmal mehr ihre Kinder sehen. Eine Frau, die dement ist, hat 2 Söhne. Nun stell dir vor, plötzlich kommen dich deine Kinder nicht mehr besuchen und du kannst nicht nachvollziehen weshalb! Sie war so traurig, es ging ihr miserabel. Ich musste sie umarmen, um sie zu beruhigen. Eigentlich hätte ich die 2-Meter-Regel einhalten müssen. Aber in solchen Situationen gelten solche Regeln nicht mehr, finde ich. Diese Frau brauchte dringend Trost und Nähe.

Es gab in der letzten Zeit grosse öffentliche Bekundung von Solidarität mit euch Pflegerinnen und Pflegern. Hat dich das berührt? 

Mich hat das ehrlich gesagt nicht berührt. Wieso plötzlich Applaus? Für uns ist es normal, dass wir uns um Menschen kümmern. Wir haben nichts anderes getan als sonst. Viel besser wäre es, unseren Lohn zu verbessern, anstatt zu applaudieren. Das wäre um einiges effizienter. Denn mit Applaus kann ich die Gegenleistung, die ich zum Leben brauche, nicht bekommen. Es geht mir hier nicht nur ums Geld, sondern um Anerkennung. Diese wünsche ich mir von meinem Arbeitgeber.

Wie bist du zu diesem Beruf gekommen? 

Mit 20 Jahren kam ich in die Schweiz und habe einige Jahre im Service gearbeitet. Danach habe ich das Handelsdiplom gemacht. Um einen Bürojob zu finden, war mein schriftliches Niveau in Deutsch zu schwach. Dann habe ich mich alternativ für die Pflege entschieden.

Wieso engagierst du dich gewerkschaftlich? 

Bei der Spitex hatte ich Probleme und wurde fristlos gekündigt, weil ich mich gewissen Umständen widersetzte. Darauf meldete ich mich bei Syna, und Spitex musste mir die Löhne für die Kündigungsfrist bezahlen.
Das Problem in unserer Branche ist, dass die meisten keine Schweizer/-innen sind und von ihrem Job finanziell abhängig sind. Deshalb trauen sie sich auch nicht, kritisch zu sein und etwas zu sagen. Wir haben keinen Schutz! Da kannst du nicht sagen, was dir nicht gefällt.

Man merkt, dass du eine mutige Frau bist, die sich traut, zu sagen, was sie denkt. Woher kommt das? 

Ich musste immer für meine Rechte kämpfen. Wenn ich etwas erreichen wollte, musste ich kämpfen. Das war schon immer so. Ich denke, es ist nicht nur negativ, wenn einem als Kind Ungerechtigkeiten widerfahren… In meinem Fall hat mich das auf das Leben vorbereitet. Wenn ich Ungerechtigkeiten erfahre, tut es mir innerlich weh. Darum wehre ich mich, damit ich wieder mein Gleichgewicht finde. Ich kam vor fast 40 Jahren in die Schweiz – damals wurden Leute wie wir als Immigranten bezeichnet. Aber ich habe mich nie als Immigrantin gefühlt, denn dort wo ich bin, ist auch meine Heimat und dort wirke ich.

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