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«Wir sind unterbezahlt!»

Pflegefachfrau Karin Grossniklaus ist seit über 30 Jahren im Beruf tätig. Zurzeit arbeitet sie Teilzeit in einem Altersheim im Kanton Bern. Im Interview erzählt sie uns, was ihr am Beruf gefällt – aber auch, was sich dringend ändern muss.

Liebe Karin, vielen Dank, dass du dich mit uns triffst und über deine Erfahrungen in deinem Beruf sprechen möchtest. Zuerst würde ich gerne wissen, was dich dazu bewogen hat, Syna beizutreten?

Vor rund 20 Jahren wurde ich auf der Arbeit massiv gemobbt. Danach wurde ich per sofort freigestellt und habe mich dann bei Syna gemeldet, weil ich Unterstützung brauchte. Seither engagiere ich mich gewerkschaftlich, denn alleine kann man kann sich nicht wehren. Wenn du in einem Betrieb Probleme ansprichst und etwas verändern möchtest, droht dir die Kündigung. Deshalb müssen wir viel mehr sein, die sich in Gewerkschaften organisieren um wirklich etwas auf politischer Ebene zu verändern!

Was sind die Missstände in deiner Branche und was müsste sich verändern?

Wertschätzung und der Lohn! Wir müssen 365 Tage pro Jahr und 24 Stunden pro Tag bereitstehen. Der Job ist körperlich und psychisch anstrengend. Wir haben Bewohnende mit Demenz; bei diesen älteren Menschen muss man unheimlich viel Verständnis und Geduld aufbringen können. Von oben macht uns der Arbeitgeber Druck, effizienter zu arbeiten. Dazu kommen die Angehörigen, die natürlich Erwartungen und Fragen haben. In Gesprächen mit ihnen müssen wir Rede und Antwort stehen. Und wir sind immer überall mittendrin. Es geht hier um Menschenleben, und ein kleiner Fehler kann tödlich sein. Hinzu kommt, dass wir immer mehr administrative Arbeiten erledigen müssen: Berichte schreiben, Anträge an Krankenkassen, usw. Deshalb muss ich sagen, wir sind unterbezahlt.

Und wie sieht es bei den Arbeitszeiten aus?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: der Muttertag. Am Donnerstagabend davor wurde klar, dass wir eine freie Wohnung zur Verfügung stellen sollten, wo sich die Bewohnenden mit ihren Angehörigen treffen können. Aber der Raum musste zwischen jedem Besuch geputzt und desinfiziert werden. Nun musste ich das Ganze koordinieren und einen Zeitplan für die Besuche erstellen. So kurzfristig und das nebst meiner normalen Schicht und den Bewohnern, die ich betreue. Zusätzlich habe ich dann am Sonntag gearbeitet und Putzarbeiten übernommen.
All diese Tätigkeiten gehören eigentlich nicht zu meinen Aufgaben. Doch auch hier gibt es das Problem, dass immer mehr Dinge abdelegiert werden. Ich möchte aber nicht meckern! Denn es gibt ja auch schöne Seiten am Beruf.

Was sind die schönen Seiten an deinem Beruf und wieso hast du dich dafür entschieden? 

Ursprünglich wollte ich Kinderärztin werden. Als Älteste von 4 Geschwistern, war ich es gewohnt, mich um die Kleineren zu kümmern. Leider hat es schulisch dann nicht gereicht. Deshalb habe ich die 2-jährige Ausbildung zur Kinderpflegerin gemacht. Inzwischen habe ich 30 Jahre Erfahrung in diesem Beruf. Ich habe in der Geburtenabteilung und in der Chirurgie eines Spitals gearbeitet. Bei der Spitex habe ich 2 Jahre lang Einsätze geleistet, und nun arbeite ich seit vielen Jahren in Altersheimen.
Trotz den Missständen habe ich nie am Beruf gezweifelt und etwas anderes gab es für mich nie! Das Schönste ist, zu sehen, wie mich die Bewohnerinnen und Bewohner schätzen. Wenn ich in die Ferien gehe, fragen sie «Wann kommen Sie wieder?». Auch nach dem Muttertag haben sich viele sehr herzlich bedankt. Das rührt mich jedes Mal, und ich weiss, dass ich tagtäglich etwas Gutes für andere Menschen tue.

Wie hast du die Corona-Zeit erlebt? 

Ich muss ehrlich sagen, dass mir der Applaus mittlerweile stinkt, denn es geht nichts. Nur ganz wenige Arbeitgeber haben ihren Mitarbeitenden einen Bonus gegeben und sonst gab es nichts. Mit dem Applaus ist nichts getan.
Die Corona-Situation ist extrem schwierig. Die Bewohnerinnen und Bewohner sind uns zum Teil massiv körperlich und verbal angegangen und fragten: «Wieso schliesst ihr mich ein? Lasst mich jetzt raus, ich bin doch sowieso am Ende meines Lebens!» Das sind extreme Situationen, die wir meistern mussten.

Wie siehst du die Zukunft des Berufes? 

Wir müssen dringend die Arbeitsbedingungen verändern, um diesen Beruf attraktiver zu machen. Nach 4 bis 6 Jahren verlassen die meisten den Beruf! Es gibt wenig Schweizer/-innen, die bereit dazu sind, zu solchen Bedingungen zu arbeiten. Das Arbeitsgesetz ist eigentlich gut. Aber wenn man dann die Liste der Ausnahmen liest, sieht man, dass es sich gleich selber wieder aufhebt. Das Gesetz gewährt 12 freie Wochenenden pro Jahr, aber eigentlich sollten es 2 pro Monat sein. Solche Dinge müssen wir dringend verbessern für unsere Branche. Deshalb brauchen wir einen GAV!


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