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«An der Grenze des Menschenwürdigen»

Als Pflegefachfrau bei der Spitex hat Caroline* während der Coronakrise zusätzlich in einem Alters- und Pflegeheim gearbeitet. In zahlreichen Situationen waren die Arbeitsbedingungen und die Patientenversorgung für sie inakzeptabel. Ihr Fazit ist eindeutig: Das Gewinnstreben im Gesundheitswesen muss aufhören.

Wie hast du diese Gesundheitskrise erlebt?

Caroline:  Im Altersheim war es sehr schwer – wegen den Arbeitsbedingungen, aber auch aus emotionaler Sicht. Ich war verantwortlich für etwa 20 Patient/-innen, darunter einige, die im Sterben lagen, sowie für ein Team von Fachangestellten Gesundheit und Pflegeassistent/-innen. 

Bei uns gab es infizierte Mitarbeitende und Bewohnende. Wir hatten mit Personalengpässen zu kämpfen und waren auf Aushilfen angewiesen, wie auch ich selbst eine war. Diese Verantwortung ist eine grosse Bürde, auch emotional. Einige Situationen waren für die Bewohnenden und das Pflegepersonal hart an der Grenze des Menschenwürdigen. Die Bewohnenden waren in ihren Zimmern isoliert, durften ihre Familien nicht sehen, und selbst einige Paare waren getrennt. Alleine sterbende Patient/-innen zu begleiten – das ist in meinen Augen inakzeptabel.

Sie hatten also Personalengpässe?

Ja. Nur eine von fünf diplomierten Pflegefachpersonen war verfügbar, Aushilfen waren dringend nötig. Aber das Hauptproblem waren nicht die fehlenden Arbeitskräfte, sondern der Mangel an Zeit, das Personal spezifisch für die Betreuung während Covid-19 zu schulen und in die Arbeit in einem Alters- und Pflegeheim einzuführen.

Du hast vorhin Infektionsfälle erwähnt. Hattest du Angst um deine Gesundheit? Und wart ihr insgesamt gut geschützt?

Ich hatte vor allem Angst, das Virus mit nach Hause zu nehmen, da mein Mann zur Risikogruppe gehört. Auf dem Heimweg fragt man sich manchmal, ob man sich nicht doch angesteckt hat durch die Nähe mit Covid-Patient/-innen, die neben einem husten.
Wir hatten auch nicht ausreichend Material und mussten den ganzen Tag dieselbe Maske tragen – normalerweise wechseln wir alle drei bis vier Stunden. Aber abgesehen davon nicht. Das Virus ist nicht sichtbar und eigentlich sind wir ja geschützt. Vor allem aber hast du während der Arbeit keine Zeit, dir darüber Gedanken zu machen.

Konntest du auf die Unterstützung deiner Vorgesetzten zählen?

In meinen Augen nicht ausreichend. Ich hatte eher den Eindruck, dass sie uns vor allem kontrollierten und eher da waren, um allfällige Verfehlungen anzukreiden, als uns zu ermutigen.
Die Angestellten hingegen waren wunderbar. Sie haben ohne zu zögern ihre Arbeitszeit erhöht und ungefragt Überstunden geleistet, ohne diese aufzuschreiben. Und trotz der grossen Arbeitsbelastung und der Angst vor einer Ansteckung haben sie das Ganze mit grosser Fürsorge und bewundernswerter Professionalität gemeistert.

Und vonseiten der Behörden und der Bevölkerung?

Vonseiten der Behörden nicht. Die Bevölkerung hat uns applaudiert. Das war sehr berührend. Einige meiner Nachbar/-innen gingen aber auch auf Distanz und wichen mir aus. Dann fühlte ich mich wie eine Aussätzige. Die Anerkennung, die wir mit dem Applaus zu spüren bekamen, war sehr motivierend und erfreulich. Diese Wertschätzung sollten wir aber jeden Tag erfahren, weil wir uns kontinuierlich einsetzen und gefordert sind.

Wie siehst du deine Zukunft?

Ungewisser als vorher. Die Nachtwachen, die ich in der Pflege zu Hause mache, setzen mir immer mehr zu und sind nicht gut für meine Gesundheit. Ich wollte eigentlich wieder damit beginnen, aber ich zögere noch. Ich frage mich, ob es wirklich das ist, was ich will, es erfüllt mich nicht. Ich liebe meinen Beruf. Aber wir haben immer weniger Kontakt zu den Patient/-innen und wir können keine wirkliche Verbindung mehr aufbauen. Die Bewohnenden um 16 Uhr ins Bett zu bringen, weil die Zeit und das Personal fehlen, um es am Abend zu machen, das ist für mich inakzeptabel.

Und die Zukunft des Berufs?

Unser Beruf gründet auf Beziehungen und ist ein wichtiger Pfeiler der Gesellschaft. Wir verdienen echte und dauerhafte Anerkennung. Die Krise hat eigentlich nur aufgezeigt, was schon davor Realität war: Personalmangel und die Notwendigkeit, Zeit für die Patient/-innen zu haben, ihnen zuzuhören und sich mit ihnen zu unterhalten. Das gibt mir wirklich zu denken, denn es ist überall dasselbe. Es ist beunruhigend: Die Verweildauer einer Pflegefachperson im Beruf beträgt nur mehr fünf Jahre. Wir bleiben nicht mehr lange im Beruf, weil wir ausgelaugt sind und wir unsere Arbeit nicht unseren Werten entsprechend erfüllen können.
Die Pflegeberufe sind prekär und hart – in Bezug auf die Arbeitszeiten, die Arbeitslast und die grosse Verantwortung. All dies zu leisten für den Lohn, den wir dafür erhalten, ist nicht akzeptabel und unhaltbar.

Was müsste sich abgesehen von den Löhnen verbessern?

Nicht nur die Löhne, auch die Lohnentwicklung muss sich verbessern. Es braucht echte Karrierechancen. Und die Bedingungen müssen so verbessert werden, dass eine menschenwürdige Pflege im Einklang mit unseren Werten möglich wird. Eine Prämie zu erhalten ist schön und gut, aber das löst die Probleme bei weitem nicht. Das ist erst der Anfang, ein erster Schritt zur Aufwertung der Pflegeberufe. Ein Vorruhestandsmodell wäre auch ein guter Fortschritt. Eines aber ist sicher: Das Gewinnstreben im Gesundheitssystem ist ein destruktiver Irrweg.

«Die Krise hat eigentlich nur aufgezeigt, was schon davor Realität war: Personalmangel und die Notwendigkeit, Zeit für die Patient/-innen zu haben, ihnen zuzuhören und sich mit ihnen zu unterhalten.»

Caroline*
Pflegefachfrau
Syna-Mitglied seit 10 Jahren

*Name geändert

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