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«Zurück zur Normalität wie zuvor? NIEMALS!»

Seit 40 Jahren im Neuenburger Spitalnetz tätig, weiss Corinne Béguin-Dalrio, wovon sie spricht. Im Interview spricht die 58-jährige medizinische Radiologietechnikerin Klartext: Für sie ist die Zeit nach Corona entscheidend.
Corinne, wie hast du akute Phase der Coronakrise erlebt? Hast du das Gefühl, deine Arbeit wurde geschätzt in dieser Zeit? 

Corinne Béguin-Dalrio: Wir, die Radiologietechniker/-innen fühlten uns etwas abgewertet. Beim Lob der Pflegenden hat man uns vergessen. Dabei sind wir ein wesentliches Bindeglied bei der Behandlung von Coronapatienten: Mehr als 80% von ihnen werden geröntgt. Eine Röntgenaufnahme der Lunge ergänzt den Nasenabstrich. Dabei sind auch wir dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt. Denn wir sind in engem Kontakt zu den Patienten. Auch wir stehen also an vorderster Front.

Hattest du Angst bei deiner Arbeit mit dem Virus?

Nein, ich war nicht wirklich beängstigt, einfach viel vorsichtiger. Die Situation ist aber schon beunruhigend, da man noch nicht viel vom Virus weiss, ob es in der Luft bleibt und über welche Distanzen es übertragen werden kann. Ich hatte aber mehr Angst um andere als um mich.

Fühltest du dich von deinen Vorgesetzten und den Behörden unterstützt? 

Ja, erstaunlich gut. Abgesehen von ein paar Flops zu Beginn haben die Vorgesetzten die Krise gut gemeistert. Die Direktion hat richtige Vorsehungen getroffen. Wir erhielten rasch externe Hilfe und wurden regelmässig über die Entwicklung der Lage informiert. Die Massnahmen, die zum Beispiel getroffen wurden, um den Zugang zur Arbeit zu erleichtern und die Arbeitswege zu verkürzen, wurden geschätzt. Seitens der Behörden, auch wenn die Kommunikation wacklig war, muss die Tatsache hervorgehoben werden, dass die auf den Dezember vorgesehehene Lohnerhöhung von 1,2% auf den 1. April vorgezogen wurde.

Und von der Bevölkerung?

Ja, sicher. Ich glaube, die Leute sind etwas aufgewacht und haben bemerkt, wie relevant das Gesundheitspersonal ist und dass es im Leben Wichtigeres gibt, als in die Notaufnahme zu fahren wegen eines eingewachsenen Haares...

Gibt der GAV Santé 21* auch Sicherheit? 

Oh ja, und wie! Nur schon wegen der Lohnsicherheit. Darüber hinaus ist er eine Garantie gegen die Flexibilisierung der Arbeitsbedingungen: Der GAV wurde eingehalten, trotz der Entscheidung des Bundesrates in der Krise, das Arbeitsgesetz auszuhebeln.

*kantonaler Gesamtarbeitsvertrag für das Gesundheitswesen im Kanton Neuenburg

Was hat dich diese Krise gelehrt?

Das man sich jeden Tag neu erfinden muss. Wir mussten uns täglich auf neue Weisungen auf Bundes- und institutioneller Ebene einstellen. Wir mussten uns auch mit Ausrüstung und Geräten auseinandersetzen, Lösungen finden und selbst reparieren, da wir nicht auf externe Hilfe zurückgreifen konnten. Kurz gesagt: Sich dieser Anpassungsfähigkeit zu stellen, gefällt mir.

Man spricht aktuell viel über eine Prämie für das Gesundheitspersonal. Was sagst du dazu? 

Im Spital haben sich alle Berufsgattungen für die Pflege eingesetzt: Das Reinigungspersonal, die Küchencrew, die Servicetechniker/-innen und alle anderen verdienen auch Anerkennung. Alle haben es verdient, kurzfristig eine Prämie zu erhalten für das eingegangene Risiko und ihren Einsatz in dieser ausserordentlichen Lage. Man muss diese Anerkennung auch auf andere Tätigkeitsbereiche ausweiten, die genauso betroffen sind, wie den Verkauf, das Transportwesen, die Polizei, Feuerwehr, Ambulanz usw.

Eine Prämie in Form von Geld oder Zeit? 

Die Idee einer Anerkennung in Form von zusätzlichen Ferien, nach Wunsch zu beziehen bis Ende 2021, gefällt mir.

«Ich glaube, die Leute sind etwas aufgewacht und haben bemerkt, wie relevant das Gesundheitspersonal ist.»

Corinne Béguin-Dalrio
Fachfrau für medizinisch-technische Radiologie, Neuchâtel
Syna-Mitglied seit 11 Jahren
Es reicht also, eine Prämie auszuzahlen? Danach ist alles geregelt und man spricht nicht mehr darüber? 

Zurück zur Normalität wie zuvor? NIEMALS! Alle Berufe im Gesundheitswesen verdienen eine langfristige Aufwertung bei Personalbestand, Lohn und Ausbildung. Man muss das Personal «zertifizieren»: Die Qualität der Arbeit hängt von der Qualität der Ausbildung ab. Ausserdem muss man damit aufhören, die Rentabilität über alles zu stellen und die Finanzierung über Fallpauschalen stoppen. Die Beziehung zu den Patienten ist schwächer geworden. Wir haben keine Zeit mehr, uns mit ihnen zu unterhalten!

Siehst du Mängel in der Ausbildung in deinem Beruf?  

Wenn man eine Weiterbildung absolvieren möchte, wird dies oft abgelehnt. Wir haben das Gefühl, dass die Pflegekräfte bevorzugt werden. Dabei verändert sich unser Beruf gerade im technischen Bereich sehr schnell. Es besteht ein echter Bedarf für Weiterbildung. Für die Radiologietechniker/-innen ist das Angebot in der Romandie sehr klein. Man muss oft nach Frankreich ausweichen. Auf eigene Kosten.

Und die körperliche Anstrengung? 

Es wird viel davon gesprochen, aber nie berücksichtigt. Es braucht dringend Modelle für das Karriereende oder zur Frühpensionierung.

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