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Nach sehr knappem Ja zu AHV 21: Jetzt braucht es eine Gleichstellungsoffensive!

 Die Schweizer Stimmbevölkerung hat heute der Erhöhung des Frauenrentenalters äusserst knapp zugestimmt. Damit sind Frauen und Männer beim Rentenalter nun gleichgestellt – ungeachtet der vielen bestehenden Ungleichheiten in beinahe allen anderen Bereichen. Anhaltende Lohn- und Rentenungleichheit, ein hohes Armutsrisiko für Frauen, eine finanzielle Geringschätzung von Care-Arbeit und eine rückständige Familienpolitik sind nur einige der Versäumnisse im Bereich der Gleichstellung und Vereinbarkeit. Travail.Suisse, Dachverband von Syna, fordert deshalb eine Gleichstellungsoffensive mit raschen Reformen in sieben Handlungsfeldern.

Gegen den Willen der Mehrheit der Frauen hat die Stimmbevölkerung heute der Erhöhung des Frauenrentenalters zugestimmt. Nun braucht es zwingend in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens rasche Reformen, um die Gleichstellung zwischen Frauen und Männern voranzutreiben. «Die Befürworterinnen und Befürworter von AHV 21 haben mit ihrer Behauptung, sie würden sich für die Gleichstellung einsetzen, heute gewonnen. Jetzt nehmen wir sie beim Wort: Gleichstellung gilt überall», so Léonore Porchet, Vizepräsidentin von Travail.Suisse. 

Präsident Adrian Wüthrich: «Travail.Suisse fordert in sieben Bereichen rasche und substanzielle Fortschritte: bei den Löhnen, den Renten, den Weiterbildungsmöglichkeiten, der Arbeitszeit, den Elternurlauben, der externen Kinderbetreuung und der Armutsbekämpfung.» Diese Massnahmen sind nicht zuletzt als Folge der kürzlich ergangenen Entscheide des Bundesgerichts als dringlich zu erachten. Das Bundesgericht hat dieses Jahr entschieden, dass die «lebensprägende Ehe» und die «Vorsorgeehe» der Vergangenheit angehören, gleichzeitig werden 40% der Ehen geschieden. Frauen müssen während ihres gesamten Lebens ein sicheres und ausreichendes Einkommen erzielen können, zu diesem Zweck ist es unabdingbare Voraussetzung, dass die Schweiz die effektive ökonomische, rechtliche und soziale Gleichstellung sicherstellt.

1. Löhne

Zur Erreichung der wirtschaftlichen Gleichstellung brauchen Frauen gute Löhne. Dafür muss einerseits die Lohndiskriminierung konsequent bekämpft werden und andererseits müssen Berufe, welche mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden, aufgewertet werden.

a. Konsequente Bekämpfung der Lohndiskriminierung
Das Gleichstellungsgesetz sieht Lohnanalysen bei Unternehmen ab 100 Angestellten vor. Die Durchführung dieser Analysen wird dabei weder kontrolliert, noch sind bei einem Verstoss Sanktionen vorgesehen. Auch bei einer bestätigten Lohndiskriminierung haben Unternehmen nichts zu befürchten*.

Travail.Suisse fordert eine Reform des Gleichstellungsgesetzes. Diese umfasst: 

  • Lohnanalysen für alle Unternehmen mit mehr als 50 Angestellten
  • Sanktionen bei einer Nicht-Einhaltung des Gesetzes und 
  • obligatorische Massnahmen bei vorliegender Lohndiskriminierung


Zudem müssen Toleranzschwellen, wie sie heute bei der Analyse bestehen, komplett aufgehoben werden. Das neue Gesetz soll im Gegensatz zum gegenwärtigen ausserdem keiner Sunset-Klausel unterstehen.

Des Weiteren soll beim Bund eine Ombudsstelle eingeführt werden, welche unternehmensinterne Diskriminierungen von Frauen und Männern untersuchen und entsprechende Empfehlungen aussprechen kann (Motion Porchet 22.3095).

b. Aufwertung von Berufen, welche mehrheitlich von Frauen ausgeübt werden
Die Löhne in Branchen, in denen mehrheitlich Frauen arbeiten, sind zu tief. 16% aller Frauen beziehen einen Tieflohn. Bei den Männern beträgt dieser Anteil nur gerade die Hälfte. Problematisch ist die Situation insbesondere im Detailhandel, dem Gastgewerbe, der Pflege, der Reinigung, sowie weiteren Dienstleistungsbranchen (z.B. Coiffeure, Hauswirtschaft). Die Löhne in Tieflohnbranchen müssen konsequent erhöht werden. Dadurch verbessert sich die finanzielle Situation der Arbeitnehmenden aus diesen Branchen, mehrheitlich Frauen. Im Detailhandel muss ein allgemeinverbindlicher Gesamtarbeitsvertrag eingeführt werden.

2. Renten

 Die Rentenlücke der Frauen ist beträchtlich und besteht vor allem in der beruflichen Vorsorge. Die Frauenrenten liegen insgesamt um 35% tiefer als diejenigen der Männer. In der beruflichen Vorsorge liegt die Rente der Frauen um 63% tiefer als diejenige der Männer, wie der neuste Bericht des Bundesrats darlegt. Damit liegt die Rentendifferenz zwischen Frauen und Männern («Gender Pension Gap») auch im europäischen Vergleich auf einem hohen Wert. Die vertagte BVG-Reform muss deshalb eine bessere Absicherung von Teilzeitarbeitenden – vor allem Frauen – zu tragbaren Kosten ermöglichen. Dazu muss der Koordinationsabzug reduziert werden, ohne dass die Kosten für Arbeitnehmende mit tiefen und mittleren Einkommen zu stark steigen. Die Frauenrenten müssen zudem rasch verbessert werden, so dass Frauenjahrgänge mit besonders grossen Lücken von den Verbesserungen profitieren können. Der Sozialpartnerkompromiss zeigt einen gangbaren Weg auf.

Die Care-Arbeit muss aufgewertet und besser versichert werden. Dazu sollen die Anspruchsvoraussetzungen für Betreuungsgutschriften in der AHV niederschwelliger gestaltet und der Personenkreis der Anspruchsberechtigten ausgeweitet werden (vgl. Postulat Graf 22.3370). Betreuende Angehörige sollen zudem in der beruflichen Vorsorge weiterhin im gleichen Ausmass versichert sein, wenn sie ihre Arbeitstätigkeit zur Betreuung reduzieren. Dabei soll der Arbeitgeberanteil von der öffentlichen Hand übernommen werden.

3. Beruflicher Wiedereinstieg und Weiterbildung

Der berufliche Wiedereinstieg von Frauen muss erleichtert und gefördert werden. Travail.Suisse hat bereits 2013 entsprechende Handlungsfelder und Forderungen lanciert. Im Rahmen des laufenden Projekts «Wiedereinstieg von Frauen in den Arbeitsmarkt» unter der Leitung des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) sollen griffige Massnahmen entwickelt werden, welche allen Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben ermöglichen. Gerade die finanzielle Unterstützung durch die öffentliche Hand für Wiedereinsteigende ist ungenügend, wie eine neuere Studie im Auftrag der EDK belegt.

In Bezug auf die finanzielle Unterstützung der Weiterbildung durch die Arbeitgebenden weist der «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse seit mehreren Jahren auf eine Diskriminierung von Teilzeitarbeitenden – in der grossen Mehrheit Frauen – hin.
Massnahmen zur Förderung der Weiterbildung müssen neben der Finanzierung auch in den Bereichen Zugang, Information, Beratung und Begleitung und Zeit umgesetzt werden und in einer eigentlichen Weiterbildungsoffensive auch die Gleichstellung der Geschlechter in den Fokus genommen werden.

4. Elternurlaube

Die unterschiedlichen Urlaube nach der Geburt eines Kindes zwischen Müttern und Vätern führen dazu, dass viele Arbeitgebende die Anstellung einer Frau zwischen 20 und 45 als betriebliches Risiko erachten. Diese Ungleichbehandlung hat weitgehende Konsequenzen auf die Anstellungsmöglichkeiten und die Lohnentwicklung von Frauen. Einzig über eine Anpassung und Erweiterung der Elternurlaube kann diese Ungleichbehandlung zum Nachteil der Frauen reduziert oder aufgehoben werden. Die Schweiz braucht deshalb eine Elternzeit.

5. Externe Kinderbetreuung

Eine ausreichende und kostengünstige externe Kinderbetreuung ist zentral, damit Eltern einer bezahlten Erwerbstätigkeit nachgehen oder sich weiterbilden können. Entsprechende Angebote sind in vielen Regionen der Schweiz nicht ausreichend vorhanden und/oder zu teuer. Für eine Verbesserung dieser Situation, muss der Bund in einem ersten Schritt dauerhaft eine finanzielle Beteiligung an den Kosten übernehmen und dadurch ein umfassendes und kostengünstiges Angebot an externer Kinderbetreuung sicherstellen. Die entsprechende parlamentarische Initiative (21.403) der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrats muss dafür vom Parlament unterstützt und durch die Verwaltung rasch umgesetzt werden.

6. Armutsbekämpfung

Die Schweiz kennt keine aktive Politik der Armutsbekämpfung. Die Folgen davon tragen zu einem wesentlichen Teil die Frauen. 45% der alleinerziehenden Mütter sind arm. Die Folgen davon sind nicht nur ein Mangel an finanziellen Mitteln, sondern auch beschränkte Perspektiven für Eltern und Kinder. Über eine aktive Armutsbekämpfung unter anderem durch die Einführung von bedarfsabhängigen Familienzulagen kann die Armut bei Familien, insbesondere bei Einelternfamilien, beendet werden.

7. Wochenarbeitszeit

Das schweizerische Arbeitsrecht sieht eine Wochenarbeitszeit von 45 bzw. 50 Stunden vor. Damit liegt die Schweiz verglichen mit anderen europäischen Ländern weit über den Arbeitszeiten, die eine gleichgestellte Vereinbarkeit von Arbeit und Familie für erwerbstätige Eltern oder erwerbstätige betreuende Angehörigen ermöglichen würden. Die Reduktion der Wochenarbeitszeit bei stabilen Einkommen ist eine Voraussetzung dafür, dass beide Elternteile erwerbstätig sein können, ohne die Familie zu vernachlässigen oder mit Einkommensarmut konfrontiert zu werden.

* Mit dem Projekt RESPECT8-3.CH verfolgt Travail.Suisse das Ziel, Unternehmen zur Einhaltung des Gesetzes zu bewegen und die Nicht-Einhaltung über öffentlichen Druck zu ahnden.


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