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Von Grenzzäunen und unsichtbaren Mauern

Mauern können etwas schützen oder etwas verbergen. Doch lässt sich das, was wir schützen wollen, auch tatsächlich mittels Zäunen oder Barrieren schützen?  

Mauern, die den Zutritt zu einer bestimmten Welt verwehren, sind manchmal unsichtbar. Gerade in der Schweiz wird der Zugang zu öffentlichen Räumen zwar nicht durch Barrieren, dafür durch Privatbesitz und selektive Zutrittsrechte geschützt. 

Eine grundlegende Differenzierung, die in allen Gesellschaften gültig ist, ist die zwischen Arm und Reich, also die Kluft zwischen sozialen Schichten. Je grösser sie ist, und je entbehrungsreicher das Leben für die ärmeren Bevölkerungssichten, desto besser muss der Reichtum der Wenigen hinter Mauern geschützt werden. Aber auch die Art und Weise, wie der Reichtum angehäuft wurde, ist ausschlaggebend. So werden beispielsweise die Unterschiede im Vermögen oder im Einkommen in den Gesellschaften mit nur geringer sozialer Mobilität schlechter akzeptiert. Das heisst aber, dass in diesen Gesellschaften die repressive Gewalt erhöht werden muss, damit der soziale Frieden bewahrt werden kann. In der Schweiz bestehen zwar nicht ummauerte und videoüberwachte Wohnquartiere, wie wir sie aus den USA oder Südafrika kennen. Und doch gibt es Gebiete, in denen sich die internationale Geldelite mit teuren Grundstückspreisen und exklusiven Verhaltenscodes abgrenzt.

Die Akzeptanz von sozialen Unterschieden
In den westlichen, marktwirtschaftlichen Gesellschaften werden die sozialen Unterschiede besser von den Bevölkerungsschichten akzeptiert, wenn diese auf Leistungsunterschieden beruhen. Dies ist das meritokratische Prinzip, das für westliche Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit darstellt. Demzufolge ist es auch möglich, durch Einsatz in Bildung und Beruf ein höheres Einkommen zu erzielen als die eigenen Eltern hatten. Vorausgesetzt, dass in der Volksschule und in den Ausbildungsinstitutionen ein diskriminierungsfreier Umgang besteht und Kinder oder Lernende nicht beispielsweise aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer sozialen Herkunft benachteiligt werden. Unternehmen haben in ihrer Firmenpolitik eine wichtige Rolle, nicht nur für die Gleichbehandlung jedes Individuums, sondern auch für den Erhalt des sozialen Friedens. Die höchste individuelle Leistung genügt aber nicht, wenn strukturelle Schwankungen zu erhöhter Arbeitslosigkeit führen oder prestigereiche Positionen in Wirtschaft und Staat aufgrund intransparenter Kriterien verliehen werden.

Unsere aktuelle Lage
Aber wie steht es um die soziale Gerechtigkeit in unserem Land? Sogar im Zuge der Spekulationsgeschäfte, als die Mängel unserer Finanzindustrie offensichtlich wurden, regte sich der Widerstand nur in einem sehr zivilisierten Rahmen. Zwar stiegen seither in der Schweiz die hohen Löhne ungleich stärker an als die tiefen, aber das verfügbare Einkommen sank nicht, wie dies in anderen europäischen Ländern der Fall war. Im Erwerbsleben hat sich der Zusammenhang von Bildung, Einkommen und Status gelockert. Diese Veränderung der Arbeitswelt wird hoffentlich bald wieder in moralisch vertretbare Bahnen gelenkt werden können, denn sie bedroht die zentralen Werte unserer Gesellschaft, die mit Verteilungsgerechtigkeit und Chancengleichheit zu tun haben.

Wenn also ungerechtfertigte, soziale Ungleichheiten der Ursprung für das Errichten von Barrieren sind, was hindert uns daran, diese Ungleichheiten einzuebnen? Wie weit sind wir selbst bereit, auf Privilegien zu verzichten, die wir qua Geburt erworben haben? Solange die Machtverhältnisse nicht aufgedeckt werden und der Reichtum nicht gerechter und gleichmässiger verteilt wird, ist ein Leben ohne Grenzen oder Mauern nicht möglich – sei es als Schutz oder als Versteck.

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